1854 -
Münster
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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dort nicht. Nicht weit von der Stadt wohnte eine arme Wittwe
auf einem Dorfe; die war krank und schickte, da es im Hause
an Holz mangelte, ihre beiden Knaben mit einem Schlitten
hinaus in den Busch. Von diesen Knaben war der ältere noch
nicht zwölf, der andere erst acht Jahr alt. Als sie mit ihrem
Schlitten an der Kirche vorüber kamen, sagte der Jüngere:
Janko, mir ist wunderlich zu Muthe; es ist mir, als wenn
uns ein Unglück bevorstände. Laß uns erst in die Kirche gehen.
Der Aeltere antwortete: Ich bin auch dabei. Mir hat auch
diese Nacht wunderbares Zeug geträumt; ich weißes aber nicht
deutlich mehr, nur daß ich blutete. Sie ließen also ihren
Schlitten an der Kirchthür stehen, gingen hinein und beteten.
Dann fuhren sie weiter und waren recht wohlgemuth, ob sie
gleich einmal über das andere tief in den Schnee fielen; und
dürres Holz fanden sie auch in Ueberfluß. Und schon waren
sie beschäftigt, es auf dem Schlitten zusammenzulegen und fest
zu binden, als sie in der Ferne zwei Wölfe erblickten, die in
gerader Richtung auf sie zu liefen. Ihnen zu entrinnen, war
unmöglich; ein Baum, auf den sie hätten steigen können, war
nicht in der Nähe; denn rings umher war nur Buschholz, und
was würde ihnen auch der höchste Baum geholfen haben? Die
Wölfe hätten dabei Wache gehalten, und sie hätten verhungern
müssen. Was thun sie also in dieser Noth? Der Aeltere, ein
entschlossener Knabe, deckt den Kleineren mit dem Schlitten zu,
wirft so viel Holz darauf, als er kann, und ruft ihm zu:
Bete, aber rühr' dich nicht! Ich habe Muth. Ach, mein Gott,
sagt der Kleine weinend, wenn wir umkämen, die Mutter
stürbe vor Gram. Der eine Knabe steckte also unter dem Schlit-
ten und dem dürren Holze; der größere aber, der Janko, stellte
sich mit der Art in Positur, und wie der eine Wolf, der am
hitzigsten voraus gelaufen ist, herankommt, versetzt er ihm einen
Hieb in den Nacken, daß er zu Boden fällt. In diesem Au-
genblicke packt ihn der andere Wolf am Arm und wirft ihn zu
Boden. Hier faßt er nun in krampfhafter Angst das Unthier
mit beiden Händen an der Kehle und hält den weitgeöffneten
Rachen von sich ab, doch ohne zu schreien, um das Leben sei-
nes Bruders nicht in Gefahr zu bringen. Diesen aber ergriff
in seinem Versteck eine unbeschreibliche Angst. Er wirft den