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1. Lesebuch für Ober-Klassen in katholischen Elementar-Schulen - S. 110

1854 - Münster : Aschendorff
110 Glauben seiner Jugend, den Glauben an Gott, den Herrn und Schöpfer der Menschen verloren, weil er sich nicht zu er- klären wußte, wie Gott der Schöpfer so entarteter Wesen sein könne. Trostlos stand er da, ohne Achtung vor Andern, ohne Hoffnung für sich, und schaute theilnahmlos in das bunte laute Gewühl unter seinem Fenster. Siehe! da fährt ein ärmlicher Bauernwagen vorüber, den eine Menge Menschen begleitet. Auf demselben liegt bleich und matt auf einem Bündel Stroh ein Mensch, zu dessen Füßen eine Person sitzt, die er wegen ihrer seltsamen Kleidung und in dieser Umgebung nicht zu deuten weiß. Eben tritt der Be- diente ein. „Was gibts da unten?" fragte der Offizier, mehr aus Neugierde als aus Theilnahme. Der Bediente antwortet: „Da hat man draußen, eine Stunde von hier, in einem Stra- ßengraben einen halberfrornen Juden gefunden, und nun bringt ihn eine barmherzige Schwester in ihr Kloster, um ihn dort zu heilen, wenn es möglich ist. Das ist Alles! — Eine innerliche Unruhe trieb den Offizier auf die Straße. Er folgte unwillkürlich der Menge, trat näher zum Wagen, und schaute hinauf zur Schwester, die unverrückten Blickes auf den erstarrten Juden, wie auf ihren Pflegesohn sah. Er tritt mit ihr in das Kloftef, in die Säle der Kranken und Sterbenden. Da sieht er die frommen Schwestern in ih- rem emsigen und liebebeseelten Wirken, wie sie die Kranken ohne Unterschied des Standes und der Religion mit gleicher Sorgfalt und Aufopferung verpflegen. Er erwägt bei sich das große Opfer, das diese Jungfrauen gebracht, wie sie Familie, Habe, Freiheit und alle Lebensfreude freiwillig hingegeben, um den verlassensten, ärmsten unter den Menschen, als ihren Brüdern und Schwestern in Christo, Tag und Nacht zu helfen ihr gan- zes Leben lang, ohne den geringsten Erdenlohn zu finden, oft nur, um den schnödesten Undank zu ernten. Er war geheilt. Das Bild dieser uneigennützigen Aufopfe- rung, dieser gänzlichen Selbstverleugnung, dieses heiligen Be- rufes in stiller Einsamkeit zum Besten leidender Menschheit, und allein um Gottes willen, — dieses zarte, fromme Bild verwischte auf einmal das furchtbare Gemälde jener Tausende mit erstarrtem Herzen, ohne warme Theilnahme und thätige Hülfe,
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