1854 -
Münster
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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seiner Kirche werden; weil sie aber den Messias verwarfen, so
brach Gottes Strafgericht über sie herein.
Bald nach dem Tode des heil. Bischofs zu Jerusalem, des
Apostels Jakobus, ungefähr um die Zeit des Martertodes der
hh. Apostel Petrus und Paulus, empörten sich die Juden von
Neuem gegen die Römer, welche sie beherrschten, und der rö-
mische Feldherr Vespasian, der gegen sie abgesandt war, be-
schloß, sie mit aller Strenge zu demüthigen. Die Christen ver-
ließen, eingedenk der Weissagung unsers Heilandes, Jerusalem
und flüchteten in die Gebirge. Durch manche Vorzeichen wur-
den auch die Juden auf das ihnen drohende Strafgericht auf-
merksam gemacht. Es entstand am Pfingstfeste ein furchtbares
Getöse im Tempel, und deutlich hörte man aus dem Heilig-
thume die Worte kommen: „Lasset uns von hinnen ziehen! Las-
set uns von hinnen ziehen!" Ein Mann, Namens Jesus, fing
vier Jahre vor Jerusalems Zerstörung an, Tag und und Nacht
durch die Stadt zu wandern, laut rufend: „Wehe Jerusalem!
Wehe dem Tempel!" Man zog ihn zum Verhör; man geißelte
ihn; aber er antwortete nicht, klagte nicht, rief nur: „Wehe
Jerusalem! Wehe dem Tempel!" bis er, bei der letzten Bela-
gerung auf den Wällen der Stadt gehend, hinzusetzte: „Wehe
auch mir!" und, von einem schweren Steine getroffen, todt
niedersank.
Nachdem Vespasian das ganze Land verwüstet hatte, rückte
er vor Jerusalem zur Belagerung. Weil er aber zum Kaiser
ausgerufen wurde, mußte er dies Geschäft seinem Sohne Ti-
tus übergeben. Titus ließ die Einwohner Jerusalems zur Ueber-
gabe auffordern; diese aber wollten davon nichts wissen, ob sick-
gleich ihr Elend von Tag zu Tage mehrte. Von Außen wurde
die Stadt hart bedrängt, und alle Lebensmittel wurden ihr ab-
geschnitten; im Innern herrschte furchtbare Zwietracht unter den
Parteien, so daß dadurch mehr Blut vergossen wurde, als durch
das Schwert der Feinde. Die Hungersnoth wurde so groß,
daß eine Mutter ihr eigenes Kind schlachtete, briet und ver-
zehrte. Als die Soldaten auf der Straße den Geruch des Bra-
tens wahrnahmen, drangen sie in's Haus hinein, um ihren
Theil davon zu bekommen. Die Frau zeigte ihnen den Nest des
gebratenen Kindes, und als jene sich davor entsetzten, sprach sie
zu ihnen: „Esset nur! oder seid ihr empfindsamer als ein Weib,
zärtlicher als eine Mutter?" Die Kunde dieses Gräuels ver-
breitete sich bald in's römische Lager; Titus schauderte, und
nachdem er den Juden noch einmal, aber vergebens, Gnade
angeboten hatte, beschloß er, diese Missethat mit den Trüm-
mern Jerusalems zu bedecken. Er ließ die Stadt bestürmen
und eroberte sie nach fünfmonatlicher Belagerung. Viele Juden
hatten sich indeß in das gewaltig feste Gebäude des Tempels