1854 -
Münster
: Aschendorff
- Autor: ,
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Elementarschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
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Ein anderes Schauspiel bot sich im russischen Lager dar.
Die griechische Geistlichkeit erschien in ihren priesterlichen Ge-
wändern und zog in feierlicher Prozession durch das Lager.
Die Bilder der gefeiertsten Heiligen wurden dem verehrenden
Blicke der Truppen vorübergetragen. „Erde und Himmel",
sprachen die Priester, „find durch die Fremdlinge verletzt und
zur Rache aufgefordert, und der Tapfere in der Schlacht wird
sich unfehlbar die Seligkeit erringen." Die Russen antworte-
ten mit einem begeisterten Hurrah.
Am 7. September wurde die große Schlacht an der Moskwa,
bei dem Dorfe Borodino geliefert. An 25,000 Menschen auf
jeder Seite bluteten an diesem Schreckenstage. Vom frühen
Morgen bis in die Nacht wurde mit beispielloser Erbitterung
gestritten. Ganze Regimenter russischer Bauern schlossen sich
mit der Festigkeit alter Soldaten an, machten das Zeichen des
heiligen Kreuzes und stürzten mit dem Rufe: „Gott sei uns
gnädig!" in das dichteste Handgemenge. Endlich trat Kutusow
den Rückzug an und wollte lieber Moskau preisgeben, als eine
neue Schlacht liefern; Moskau sei ja nicht das Vaterland. Mit
niedergeschlagenen Blicken, zusammengerollten Fahnen und ohne
Trommelschlag zogen die russischen Truppen durch die stille
Hauptstadt. Der größte Theil der noch übrigen Bevölkerung
schloß sich mit dem Befehlshaber der Stadt, Grafen Rostopschin,
dem düstern Zuge an.
Am 14. September erblickten die Franzosen von der Höhe
eines Berges die ehrwürdige Stadt, und der Freuderuf: „Mos-
kau! Moskau!" durchlief die Reihen. Moskau erschien so
glänzend und gebietend wie sonst. Die Thürme seiner drei-
hundert Kirchen und deren goldene Kuppeln funkelten im
Scheine der Sonne; seine zauberischen Paläste ruhten in Baum-
pflanzungen und Gärren, und majestätisch stieg der Kreml, die
Burg der Czaren, mitten aus diesem Walde von Gebäuden
und Pflanzungen empor. „Da ist denn endlich die berühmte
Stadt!" rief Napoleon voll Entzücken und setzte seine Heeres-
massen in Bewegung.
Am 15. September langte er vor den Thoren an; sie stan-
den offen. Erstaunt harrte er mit seinen Marschällen, ob nicht
die Behörden zu einem feierlichen Empfange, ob nicht eine schau-
lustige Volksmenge herauskommen würde; Niemand erschien.
Eine schauerliche Grabesstille lag über der ganzen ungeheuern
Stadt. Endlich, nachdem er zwei Stunden gewartet hatte, zog
er ein. Die Straßen waren öde, alle Thüren verrammt, alle
Fenster durch Läden dicht geschlossen, alle Gewölbe und Buden
gesperrt und verriegelt. Schon in der folgenden Nacht stiegen
an mehreren Stellen der Stadt lichte Flammen auf. Alle Lösch-
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