1810 -
Berlin
: Realschulbuchh.
- Autor: Wilmsen, Friedrich Philipp
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Höhere Bürgerschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gymnasium, Höhere Bürgerschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
Erzählungen. Hl
25. Die Hyacinthe.
Emilie war betrübt, daß der Winter so lange
wahrere. Denn sie liebte die Blumen sehr,^ und
hatte ein kleines Gärtchen, wo sie sich die schönsten
mit eigner Hand erzog. Darum sehnte sie sich nach
dem Frühling, und daß der Winter vorübergehen
möchte. Da sprach der Vater: siehe, Emilie, ich
habe dir eine Blumenzwiebel mitgebracht. Du mußt
sie dir aber selbst mit Sorgfalt erziehen. Wie ver-
möcht' ich das, mein Vater, antwortete das Mäd-'
chen. Es liegt ja Schnee draußen, und die Erde ist
hart wie ein Stein! — So redete sie, denn sie
wußte nicht, daß man auch in Scherben Blumen
erziehen kann, und hart' es niemals gesehen. Der
Vater aber gab ihr ein Töpfchen mit Erde, und
Emilie that die Blumenzwiebel hinein. — Aber sie
sah den Vater an und lächelte, zweifelnd, ob auch
der Vater im Ernste geredet. Denn sie meinte, es
müsse ein blauer Himmel über der Blume schweben,
und Frühlingslüftchen um sie her, und unter ihren
Händen könne solche Herrlichkeit nicht gedeihen. —
Denn die kindliche Einfalt kennet in ihrer Beschei-
denheit die Kraft nicht, die in ihr wohnet.
Nach einigen Tagen hob sich die Erde im Scher-
den, und grüne Blättchen trugen sie empor auf ih-
ren Spitzen und kamen an das Licht. Da frohlockte
Emilie und verkündete Vater und Mutter und dem
ganzen Hause die Geburt des jungen Pflänzchens.
Die Mutter aber sprach: Wie wenig bedarf es,
das Herz zu erfreuen, so lange es der Natur und
Einfalt getreu bleibt.
Darauf benetzte Emilie die Pflanze mit Wasser
und lächelte mit Wohlgefallen auf sie hernieder.
Der Vater sah' es an und sprach: So recht, mein
Kind! Dem Regen und Thau muß der Sonnen-
schein folgen. Der Strahl des freundlichen Auges
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