1810 -
Berlin
: Realschulbuchh.
- Autor: Wilmsen, Friedrich Philipp
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Höhere Bürgerschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gymnasium, Höhere Bürgerschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
Briese. > 119
und ausschließlich für die Unterhaltung mit Ihnen
zu retten. Wann verfliegen mir die Stunden schnel-
ler, und wann wird mir leichter und besser zu Mu--
the, als wenn ich mich an Ihre Seite hindenke?
Was für eine angenehme Ueberraschung uns gestern
Ihr liebevollcr Brief vom 12. dieses Monats^ ge-
währt hat! Im lachenden Gebiete unsrer jüng-
sten gemeinschaftlichen Erinnerungen umherstreifend,
standen wir eben zusammen auf der Altane unseres
Gasthofes. Unverwandt waren unsre Blicke aus
den mit weißen Segeln besaeten Spiegel des Sees
gerichtet, und auf die vor uns aufgethürmten Hoch-
gebirge von Glarus, Unterwalden und Uri, von
deren Schnee- und Felsengipfeln die eben enipor-
steigenden Schatten den Purpur der Abendsonne
langsam verdrängten, als Ihr willkommner Brief
unser aller Gespräche, Sinn und Gedanken für dem
Rest des Abends auf Sie, und auf Sie allein zu-
rückführte. Nur allzugern glauben wir Ihrer für
uns so erfreulichen Versicherung, daß Ihnen ein
so langes Getrenntseyn von Ihren Kindern schwer
fällt. — Dank sey es der, das Herz, wenn bange
Besorgnisse es anfechten, zu froheren Gefühlen
stimmenden Kraft eines heitern Sommers; Dank
sey es der in wundersamen Mischungen um uns her
grünenden Schweizer-Welt, und dem mit jedem
Augenblicke sich erneuernden Wechsel reizender, noch
nie gesehener Naturscenen, daß unsre Sehnsucht
nach Ihnen nicht jetzt schon in quälendes Heimweh
übergeht! Unser Herz hing zwar an Ihnen von
frühester Jugend an, und mit unendlicher Liebe:
doch erst als unser erwachender Geist dem Ihrigen
von ferne zu folgen versuchte, und wir ansingen^
es zu fühlen, mit welcher Einsicht und Sorgfalt
Ihre mütterliche Liebe nicht bloß dre physischen Ve^
dürfnisse unsrer ersten Kindheit, nein, auch alles
das bedachte, was unser Herz zu seiner Ausbildung,
unser Verstand zu seiner Entwicklung bedurfte; da
erst sind wir zum vollen und lebendigen Bewußt-
seyn gelangt, was für ein kostbares und seltenes
Geschenk uns die Vorsehung in Ihnen habe zu Theil