1855 -
Hamburg
: Kittler
- Autor: Kröger, Johann Christoph
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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das Wesen, dem ich mein Leben weihen will voll von Unschuld und Reinheit, das
ich mir denke als Schöpfer und Erhalter, das ich verehre als Richter und Begnadi-
ger, das ich liebe als Vater und Wohlthäter, das ich anbete als heilig und gütig
und weise und alles vermögend.
Und wie heiter ist meine Seele, wenn mein stilles Gebet mich naher bringt
dem großen Geiste und inniger mich verbindet mit dem Urquelle aller Vollkommen-
heit; wenn es mich anschauen laßt den Glanz der Heiligkeit Gottes; wenn es mir
fromme Pflichten auflegt für die kommenden Stunden und mich aussöhnt mit den
Schwachen der Menschheit.
Und wenn auch kein Gott wäre, der mich hörte; so forderte doch dieses hohe
Gefühl das Dasein des Erhabenen, zu dem sich alles neigt, was höher strebt und den
Sinn für das Heilige und Große nährt.
Lieber Abbas, laß auch keinen Gott sein: so empfinde ich doch die beseligende
Wirkung des Gedankens und des Glaubens an eine Gottheit, und das unaussprech-
lich erhabene Bild des vollkommensten Wesens wohnt in mir, und ich höre dessen
Stimme im Innern, die sich mit der Stimme meines Herzens vereint. Und es offen-
bart sich die Erhörung meines Gebets durch die Wirkung in mir: denn es erhöht
sich meine Kraft zum Vollbringen des Guten; es befestigt sich der Entschluß zum
Wandeln auf heiligem Pfade; es stärkt sich das Vertrauen, wie die Ananas vom
Himmelsthaue; es entfaltet sich die Liebe, wie die Balsamblüthe am Sonnenstrahle;
es reinigt sich der Sinn, wie das Silber in des Ofens Gluth; es erhebt sich das
Gefühl höherer Ahnungen, wie der Adler, der zur Sonne auffliegt; es verschönert
sich vor mir das Leben und die Natur!
Siehe, so höre ich Gott, so erhört er mein Gebet — magst du auch läugnen,
daß in dem Weltall die Gottheit lebe und wirke!
Jetzt sprach Hali zu Omar: Ist doch die Rede so lieblich, wie der Gesang zu
den Harfen an den Wafferbächen, wenn überhangende Bäume die Lust kühlen und
Hyacinthen ihre Wohlgerüche nebelt den Sängern aushauchen. Ist die Rede von
Gott doch so feierlich und erhaben, wie ein rauschendes Meer, indessen tausend
Wogen sich der Strahl der ausgehenden Sonne bricht!
Da sprach Omar: Der Donner, der von den Gebirgen zurückhallt, und der
reizende Ton der Nachtigall sind Stimmen Gottes für den Menschen; aber die feier-
lichste Stimme Gottes ist die Sprache des Menschen, wenn er in hoher Atidacht von
dem Allliebenden spricht. Sie hallt von Herzen zu Herzen wieder. — Doch in Abbas
Herzen hallte sie nicht wieder. Er sprach zu Eben-Assar: Wozu führen doch deine
Schwärmereien! Der Rauch, der am Morgen von der Hütte aufsteigt, wird auch
vergoldet vom Sonnenstrahle. Verbirgt eine Wolke die Sonne, so ist er nichts
als grauer Qualm. Und was ist deine Entzückung, wenn die Wahrheit wegfällt,
daß ein Gott sei? Sie ist nichts als der graue Nebel des Rauches, der die Vergol-
dung des Sonnenstrahls verlor.
Was nützt dir der Gott im Innern, wenn keiner im Weltalte ist? Gleicht er
nicht der Tulpe, die das Beet nur ziert, nicht die Lust mit Wohlgerüchen durchwebt?
Eben-Assar antwortete: Sei auch kein Gott in dem Weltalle, so ist doch das
Gefühl der Gottheit in dem Menschen das höchste Kleinod, mit dem die Natur ihn
beschenkte! Ist nicht die edle Frucht milder und süßer als die wilde? Wächst auch
atlf unbebautem Boden das schwere Korn des verbesserten Landes? Rühmest du
nicht die Süße der Feige, die der Gärtner mit Sorgfalt zog? Und wie ? ein ver-
edeltes Herz, ist es etwas so Geringes, daß du sein nicht achtest? Es ist mehr werth
als der Diamant in der Krone, als die Perle in dem Schmucke des Halses.
Siehe, du veredelst dein Herz, wenn sich dein Geist beschäftigt mit dem Wesen,