1855 -
Hamburg
: Kittler
- Autor: Kröger, Johann Christoph
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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schön hat Pater Martinus vor dem Kaiser und Ständen deutsch und lateinisch ge-
redet! er ist genug oder zu viel herzhast gewesen," und hieß dann Spalatin wieder
zu Luther'n zurückkehren. — Der Kaiser schickte gleich folgenden Tages einen Zet-
tel in den Reichsrath, des Inhalts, weil Luther nicht widerrufen wolle, so wolle er
nach demerempel seiner Vorfahren den alten Glauben schützen, dem römischen Stuhl
Hülfe leisten, Lutherum nebst seinen Anhängern in Bann und Acht thun, und in
andere Wege verfolgen und vertilgen, doch aber das freie Geleite halten. Aber er
hatte hierbei nicht die üblichen Formen beobachtet, wonach zuvor das Gutachten der
Fürsten einzuholen nöthig war, so daß hierdurch nur längere Berathungen ent-
standen. Auch willigte der Kaiser selbst auf Zureden einiger Stände, das sichere
Geleit für Luther noch um einige Tage zu verlängern, damit man weitere Ver-
handlungen mit ihm versuchen könnte. Zur Sprache kam während dieser Frist nun
auch die Frage, ob man wirklich verpflichtet sei, Luther'n das Geleit zu halten, oder
ob man nicht mit ihm, wie mit Huß in Constanz, verfahren sollte. Ganz entschie-
den ist aber nicht, ob dies in der Versammlung der Reichsstände oder nur in Privat-
gesprächen verhandelt worden. So befremdend und betrübend es ist, daß auch nur
der geringste Zweifel hierüber sich aussprechen durfte, und daß der Rath eines sol-
chen Treubruchs unter deutschen Fürsten Vertheidiger finden konnte, so ist dabei doch
erfreulich, daß sich die edlere Gesinnung Anderer bei dieser Gelegenheit kräftig aus-
sprach. Der treffliche Churfürst am Rhein, Pfalzgraf Ludwig, sagte, es sei noch zur
Zeit unvergessen, daß man dem Johann Huß nicht Wort gehalten, darum dieselben,
so darein gewilligt, Hernachmals eben wenig Sieg und Glück bekommen hätten. Die-
ser Fürst soll sich nach Luthers eigner Erzählung im Streite mit dem Churfürsten
von Brandenburg, der anderer Meinung war, so erhitzt haben, daß beide zu den
Messern griffen. Der Luther'n persönlich abgeneigte Herzog Georg von Sachsen er-
klärte frei, die deutschen Fürsten würden diese Schande, daß man das Geleite sollte
brechen, zumal auf dem ersten Reichstage des Kaisers, nimmermehr zulassen; es
komme solches mit der alten deutschen Redlichkeit nicht überein; was man verspro-
chen, müsse man auch halten! — welches schön und fürstlich geredet und billig auch
an dem sonst heftigen Feinde zu loben ist. Und Kaiser Karl selbst soll erklärt ha-
den, wenn Treu und Glauben nirgend mehr gelitten würden, so sollten sie doch an
fürstlichen Höfen ihre Zuflucht finden. Karl soll in späteren Zeiten im Kloster es
als ein Unrecht angesehen und bereut haben, daß er einem Ketzer, der einen Größern
beleidigt hätte, als ihn, nämlich Gott selbst, das Geleit hielt. Wenn in den dum-
pfen Mauern des trübsinnigen Klosters sich solche Vorstellungen in seiner Seele
festsetzen konnten, so ist dagegen erfreulich, daß die Kaiserkrone auf seinem Haupte
ihn vor solchem bigotten Wahnsinne schützte, und eine freiere, edlere Gesinnung, ob-
wohl von ihm selbst nachmals verdammt, ihm ein Verbrechen ersparte.
Die Luther'n noch zugegebene Frist von einigen Tagen verstrich unter frucht-
losen Verhandlungen zu gütlicher Beilegung der Sache. Der Churfürst von Trier,
der Luthern freundlich begegnete, nahm sich der Sache besonders an, und er, Mark-
graf Joachim von Brandenburg, Herzog Georg von Sachsen, diebischöfe von Bran-
denburg und Augsburg beriefen Luther auf den 24. April vor sich, nicht zu einer
Disputation, sondern um ihn, wie der das Wort führende badische Kanzler Vehus
sich ausdrückte, aus christlicher Liebe und Gnade gnädiglich und brüderlich zu er-
mahnen. Er machte ihn besonders auch aufdie Gefahren aufmerksam, die aus seinen
Lehren der bürgerlichen Ruhe und Ordnung droheten, und den Mißbrauch, den
das Volk aus Mißverstand, z. B. von der Lehre von der christlichen Freiheit, treiben
wurde, vertheidigte auch die Concilien und behauptete ihre Uebereinstimmung unter
sich. Luther erklärte sich zu Allem bereit, was man von ihm verlange, nur daß er
nicht gezwungen würde, Gottes Wort zu verleugnen. Darauf stellte der badische