1846 -
Leipzig
: Baumgärtner
- Hrsg.: ,, Reichenbach, Anton Benedict
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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Iii. Die Oberfläche der Erde.
Lauf wird, obgleich immer noch schnell, doch regelmäßiger; auch stellt sich seine Oberfläche
wellenlos dar. Jedoch bei dem Fort Chippeway, das eine Stunde oberhalb von dem
Wasserfalle gelegen ist, wird der Fluß wieder so stürmisch, daß die Böte unvermeidlich zer-
trümmert werden würden, wenn es erlaubt wäre, vor dem am Ufer liegenden Fort Nia-
gara vorbei noch weiter hin abwärts zu fahren. Mit Furcht und Grauen wird man erfüllt,
wenn man sieht, wie heftig der Strom dqhinbraust und mit-welcher Gewalt die Wellen
sich an den Felsen brechen. Und dies wird, wenn man tiefer hinab am Strome hingeht,
noch vielfach gesteigert; denn je mehr sich der Strom dem Falle nähert, desto mehr steigt
die Wuth desselben, bis er endlich den Rand des furchtbaren Abhanges erreicht, wo er sich
plötzlich herabstürzt und nicht mehr einem Flusse gleicht, sondern einem ungestümen Meere,
dessen Tausende von Wogen sich zu der gähnenden Oeffnung eines ungeheuren Schlundes
drängen. Doch stürzt das Wasser nicht in einer zusammenhängenden Masse hinab, sondern
es bildet mehrere solcher Wasserfälle, die durch kleine Inseln getrennt sind. Drei große
bemerkt man neben einander und der größte derselben ist nordwestlich gelegen und wird
Hufeisenfall genannt, weil er einigermaßen die Form eines Hufeisens hat. Die Höhe dieses
Falles ist nicht so bedeutend, wie bei den andern beiden; denn jene sind 160, dieser ist
nur 142 Fuß hoch, seine Breite soll aber in der Rundung nicht weniger als 600 Ruthen
betragen. Die Wassermasse, welche sich herabstürzt, wölbt und rundet sich wie eine unge-
heure Walze in dem Augenblicke, wo sie über den Rand braust, und rollt dann, einer
Schneewand gleich/herab, in den Strahlen der Sonne mit allen Farben des Regenbogens
prangend. Nach der neben ihm liegenden, etwa 350 Ruthen breiten Insel folgt der zweite
Wasserfall, der nur etwa 15 Fuß breit ist, und nach einer zweiten Insel endlich der viel
größere Scloperfall. Die Breite dieses letzten Falles ist etwa der der letzteren, 90 Fuß
breiten Insel gleich, so daß die ganze Breite des Absturzes, mit Einschluß der Zwischen-
inseln, 4005 Fuß beträgt, und nach einer neueren Schätzung in einer Minute 670,250
Tonnen Wasser herabstürzen. In der Nähe dieses majestätischen Wasserfalles befindet sich
ein Felsen, welcher der Tafelfelsen genannt wird, und von dem aus man die schönste Aus-
sicht auf dieses großartige Schauspiel und auf die mit hohem Walde geschmückten Ufer hat.
Den nahe liegenden Hufeisenfall sieht man chier im schönsten Lichte, und senkrecht kann man
vom Rande des Felsens in den furchtbaren Abgrund schauen, in welchen sich das Wasier
mit wildem Brausen hinabstürzt. Wie sich hier der Hufeisenfall dem Auge zeigt, so giebt
ihn unsere Abbildung wieder. Die Abbildung mittlerer Größe (S. 51) giebt uns ein Bild
des Scloperfalls, der sich wie eine ungeheure Wassersäule in den furchtbaren, umschatteten
Grund hinabstürzt; zahllose Regenbogen wölben und kreuzen sich über dem Abgrunde, das
furchtbare Tosen ist einige Meilen weit hin hörbar und die Woge, welche den erschütterten
Felsen Peitscht, prallt in Schaumwirbeln ab, welche, über die Wälder sich erhebend, dem
dicken Dampfe eines ungeheuren Brandes gleichen. Will man alle drei Wasserfälle, wie
sie auf unserer kleinsten Abbildung (S. 52) dargestellt sind, auf einmal sehen, so erhält
man zwar ein weniger erhabenes Bild, das aber namentlich von einer Klippe dem Sclopcr-