1844 -
Darmstadt
: Ollweiler
- Hrsg.: Nister, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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lieben Vorrätye, welche der ewige Vater in jenen unerreichbaren
Tiefen zur Erhaltung des menschlichen Geschlechts anlegte? Nicht
blos Feuerflammen und Sturmwinde, auch geringe Quellen sind
die Diener seiner Macht und Weisheit. Sie führen alljährlich von
den wohlverwahrten Schätzen der Unterwelt so viel empor, als zur
Lebensnothdurst und Nahrung erforderlich ist.
Wunderbare, weise Haushaltung Gottes! himmlische Fürsorge!
Wie könnte ich alle Deine herrlichen Einrichtungen zur irdischen
Wohlfahrt des Menschen nennen! Ich Kurzsichtiger, wie könnte
ich sie alle erkennen! Die Welt ist zu groß, zu reich an Kleinodien
der göttlichen Macht und Güte, und das Leben des Menschen ist
so kurz! Nicht zu kurz, um sich in das Göttliche einzuweihen;
nicht zu kurz, um unsern höhern Beruf einzusehen, aber nicht lang
genug, auch nur den tausendsten Theil des Reichthums zu über-
schauen, welchen der erhabene Schöpfer vor uns ausgebreitet hat.
Dieses Alles gibt mir Ahnung und Hoffnung auf einen küns-
tigern bleibendern, vollendetern Zustand. Hier, o Allerhöchster,
soll ich nur den ersten Gedanken an Dich denken; hier nur erst
zum Anblick Deiner namenlosen Größe verbreitet werden — dort
werde ich erst zur Vollkommenheit reifen, zum Erkennen, zum An-
schauen Deiner Majestät gelangen.
67. Der Quell.
Schwül' war die Luft, die Sonne brannte heiß; da kam
ein Wand'rer, triefend noch von Schweiß, zu einem klaren,
doch eiskalten Quell, und trank in vollen Zügen d'raus und
schnell. — Doch kaum hat er den heißen Durst gestillt, als
kalter Schauer alle Glieder füllt; in Leichenblässe wandelt sich
das Roth, das Auge bricht, und ihn ergreift der Tod. —
„Unsel'ges Gift!" — ruft er der Quelle zu, „daß ich schon sterbe,
trägst die Schuld nur Du!" Doch der stießt fort in stiller
Heiterkeit, und murmelt leis': „Nein, die Unmäßigkeit!"
68. Der Geyser.
Auch die Menge der heißen sprudelnden Quellen macht Is-
land zu einem der merkwürdigsten Länder. Einige derselben werfen
mächtige Wassersäulen bis zu einer Höhe von 100 Ellen mit einem
so krachenden Getöse, daß der Erboden dabei zittert. Einige
springen beständig, andere nur zu gewissen Zeiten, theils regel-
mäßig, theils unregelmäßig, und fast alle, oder doch die Mehr-
zahl derselben setzen eine Menge Kieseltuff ab, aus welchem sie sich
nach und nach sowohl Röhre als Becken bilden. Die bekannteste
unter diesen Sprudelquellen ist der Geyser, der alle Kunstwasser-
werke weit hinter sich läßt. Seine Röhre hat eine Tiefe von 40
Ellen und sein cirkelrundes Becken hat einen Durchmesser von
37 Ellen. Wenn ein Ausbruch des Geysers bevorsteht, beginnt
das Wasser nach und nach bis zur Hälfte der Höhe des Beckens