1844 -
Darmstadt
: Ollweiler
- Hrsg.: Nister, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Igo
möglich in seiner fürchterlichen Schönheit zu betrachten. Unter der
Zahl der Letztern fand auch ich mich. Znm bessern Verständniß
muß ich vor Allem seine dermalige innere Gestalt beschreiben. Bei
einem der Ausbrüche stürzte die ganze höchste Spitze, durch welche
früher die Auswürfe erfolgten, 'in den längst vorher durchhöhlten
Krater, wodurch dieser eine große Ausdehnung erhielt. Diese
Spitze hat sich in ihrer stühereil Gestalt in das Innere des Berges
niedergelassen, und aus ihr kamen bei diesem neuen Ausbruche die
Feuersänlen hervor, aus ihr brachen Lavaströme in das sie um-
ringende Thal deö großen Kraters. Diese Spitze nennt man den
kleinen Vesuv, sie erreicht an Höhe die Mitte der den Krater ein-
schließenden Felsenwände. Von den Rändern dieser Wände über-
sieht man den ganzen Kessel, welcher an einigen Stellen mehrere
hundert Fuß tief ist. Man kann den ganzen Krater oben um-
gehen , was freilich an manchen Stellen, wo man auf allen Vieren
kriechen muß, beschwerlich wird. Gewandte Fußgänger können in
einer halben Stunde herumkommen. Der Anblick dieser Schlucht
erregt wirklich die außerordentlichsten Empfindungen. Aus der
einen Seite die schöne Aussicht über das mittelländische Meer mit
seinen Inseln, und auf der andern dieser Feuerheerd mit seinen
unterirdiseben Schrecken.
Bei meinem ersten Besuche des Vesuvs stieg eine weiße, dichte
Rauchsäule gerade aus dem Schluude empor, und vertheilte sich
erst in beträchtlicher Höhe in den wunderbarsten Gestalten. So
heiter der Himmel war, so verfinsterte sich doch häufig die Lust,
wenn der sich über den ganzen Horizont ausbreitende, schneeweise
Rauch ins Aschgraue umschlug, wodurch die Sonne selbst ihre
Kraft verlor. Ob ich gleich auf der Spitze deö Kraterrandes ge-
gen das Meer zustand, und es Mittag war, so trat doch mehr-
mals eine solche Dunkelheit ein, daß das ausströmende Feuer und
nicht die Sonne die Gegenstände erleuchtete.
Ich hatte mir einen entschlossenen jungen Mann als Führer
ausgesucht, und beobachtete mehrere Stunden lang den Gang deö
Ausbruchs. Das Getöse im Krater war so fürchterlich, daß wir
uns mehrmals die Ohren zuhalten mußten, aus Besorgniß, am
Gehör Schaden zu leiden. Der Wind trieb den Rauch und die
thurmhoch geworfenen Steine nach der entgegengesetzten Seite, die
ganz mit glühender Asche bedeckt war und einem zweiten Vesuv
ähnlich sah. Ich entwarf mit meinem Führer einen Plan für den
Abend, da ich gehört hatte, daß noch vor wenigen Tagen viele
Fremde zur Nachtzeit hinabgestiegen waren, imb ich ihrem Beispiele fol-
gen wollte, obgleich damals der Ausbruch noch nicht so bedeutend war.
Wir begaben uns zu der auf der Hälfte deö Bergö liegenden
Einsiedelei zurück, deren Bewohner dieden Berg besteigenden Frem-
den bewirthet, und welcher Anstalt machte, sich nach Neapel zu
retten. Hier nahm ich mein Mittagsmahl mit mehreren Reisenden,
welche den Ausbruch bei Nacht zu sehen gekommen waren. Nichts
vereinigt Menschen leichter, als eine gemeinschaftlich zu bestehende