1844 -
Darmstadt
: Ollweiler
- Hrsg.: Nister, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
278
kam eine zugedeckte Schüssel auf den Tisch und der Hausherr stand
auf und hielt eine schöne Rede an die Gäste, worinnen er sagte,
daß er ihnen jetzt eine seltene Frucht mittheilen wolle, wozu er den
Samen von seinem Freunde Franz Drake aus Amerika erhalten
habe, deren Anban hieselbst wichtig seyn würde. Die Herren aßen
nun die Frucht, die in Butter gebacken, und mit Zucker und
Zimmet bestreut war, aber sie schmeckte abscheulich und es war
nur Schade um den vielen Zucker. Darauf urtheilten sie Alle, die
Kartoffeln könnten wohl für Amerika gut seyn, aber hier zu Lande
würden sie nicht reif. Da ließ denn der Gutsherr die Kartoffel-
sträuche herausreißen und wollte sie wegwerfen lassen. Aber eines
Morgens ging er durch den Garten und sahe in der Asche eines
Feuers, welches der Gärtner sich anaemacht halte, runde schwarze
Knollen liegen. Er zertrat einen, und siehe der duftete so lieblich,
gerade wie eine gebratene Kartoffel. Er fragte darauf den Gärtner,
was das für Knollen wären? und der sagte ihm, daß sie unten
an der Wurzel des fremden amerikanischen Gewächses gehangen
hätten. Nun ging dem Herrn das rechte Licht auf und er sah
ein, daß nicht die Knollen oben, sondern die Knollen unten die
rechte Frucht seyn möchten. Erließ dann diese sammeln, zubereiten
und lud alle die Herren wieder zu Gaste; hielt auch abermals eine
Rede, aber nun Des Inhalts: Daß der Mensch, wenn er bloß
nach dem urtheilt, was oben an der Oberfläche ist und nicht auch
tiefer gräbt, sich oft gewaltig irren könne.
Und das war die erste Kartoffelmahlzeit in Europa.
324. Lob der Kartoffel.
Franz Drake dir, dir sey dieß Lied gesungen, du wack'rer
Mann, der eine halbe Welt voll Menschen nährt, und Völker aller
Zungen Jahrhunderte bereits hindurch erhält. — Für jedes Mahl,
wo deine Aepfel dämpfen, gehört der Dank, der zu der Gottheit
steigt, zur Hälfte dein, laß and re immer kämpfen um deinen Ruhm,
noch bist du unerreicht. — Millionen sind nach Westen schon ge-
schwommen, um Prunkmetall und allerlei Gestein, kaum einer hat
ein Kleinod mitgenommen, des sich mit Dank die Menschheit kann
erfreu'n. — Sie brachten uns, die wir im Argen lagen, des Argen
mehr, als wir schon kannten, mit; und führten dort, mehr als
egypt'sche Plagen, dem Volke zu, das unverschuldet litt. — Sie
schleppten Menschen von entfernten Küsten statt Ballast in den
Schiffesraum gepackt, und setzten sie in die verlaß'nen Wüsten,
dem Mutterland entrissen, arm und nackt. — An deiner Gabe
hängt des Bruders Leben, das Märtyrer Blut der armen Unschuld
nicht; du konntest sie mit leichtem Herzen geben, du gabst sie nicht
auf Kosten deiner Pflicht. — Es ehrt dich mehr als Marmor-
Mausoläen, worunter nur die Erde stärker drückt, mehr als das
Marschallgrabmal mit Trophäen, Das den Coloß Erwins von
Steinheim schmückt. — Es ehrt dich mehr, wenn bei dem Ernte-
lesen, die Erde eine Freudenthräne saugt, als wenn die Enkel