1844 -
Darmstadt
: Ollweiler
- Hrsg.: Nister, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
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und einen zahnlosen Mund hat, den Kopf und die Vorder-
beine; durch diesen die Hinterbeine und den Schwanz. Es kann
sich aber auch ganz oder doch thcilweise in sein Schild zurück-
ziehen und darin verbergen, wo es so sicher ist, daß ein be-
ladener Wagen, wenigstens bei- den größeren Arten darüber fährt,
ohne es zu beschädigen. Auf dem Oberschilde, welches eben so mit
dem Rücken verwachsen ist, wie das Unterschild mit dem Bauche,
liegen hornähnliche Schuppen (Padden) und diese geben das eigent-
liche Schildpadd, das in den Handel kommt und zu feinen Kunst-
sachen verarbeitet wird. Die harte Schale selbst benutzt man nur
zu gemeinen Arbeiten. Auch kann man diese Blättchen oder
Schuppen nicht von allen Schildkrötenarten gebrauchen, sondern
nur von einigen größeren, die stark und schön genug dazu sind.
Merkwürdig ist das ungemein zähe Leben der Schildkröten.
Nach heraus genommenem Gehirn kroch eine Schildkröte noch
6 Monate herum; eine anderere bewegte sich mehre Wochen ohne
Kopf. Ohne den geringsten Schaden können sie 12 bis 16 Monate
ohne Nahrung bleiben. Eben so können sie lange leben, ohne zu
athmen, auch halten sie in Lustarten ans, in welchen kein Sänge-
thier und Vogel mehre Minuten lang leben kann. Auch erreichen
sie ein hohes Alter, und sollen dasselbe ans 100 und mehr Jahre
bringen. Sie wachsen sehr langsam und pflanzen sich durch Eyer
fort, deren das Weibchen viele, oft über 100 in den Sand legt
und durch die Sonnenwärme ausbrüten läßt. Die Eyer sind rund,
haben eine kalkige Schale und riechen häufig nach Bisam. Die
Zeit, in welcher die Eyer ansgebrütet werden, ist nach der Wärme
und Witterung verschieden, oft 8 bis 9 Wochen. Die heraus-
kriechenden Jungen bringen ihre Schale oder Schild mit, das aber
noch weich ist und nach und nach an der Luft verhärtet. Die
Größe der Schildkröten ist sehr verschieden; manche sind von oben
nach unten 4 Fuß dick, 6 bis 7 Fuß lang und gegen 800 Pfund
schwer, während es auch deren gibt, die so groß wie eine Faust
sind und kaum ein Pfund wiegen. Ihre Nahrung besteht theils
in Pflanzen, theils in Fischen, Weichthieren, Würmern, Insekten.
Die gefangen gehaltenen gewöhnen sich auch leicht an Brod. Ihr
Aufenthalt ist theils im Meere (Meerschildkröten), cheilö in süßen
Gewässern, Flüssen, Seen, Sümpfen (Fluß- oder Südwasserschild-
kröten), theils ans dem Lande (Landschildkröten). Man benutzt
von den meisten Schildkröten, außer dem schon genannten Schildpadd,
woraus Dosen, Kämmen, s. w.'verfertigt werden, auch das Fleisch
und die Eyer, eine besonders für die Seefahrer wichtige Speise.
Am wohlschmeckendsten ist das Fleisch der von Pflanzen sich er-
nährenden Schildkröten, welches dem Hühner- oder Lammfleisch
gleicht. Sehr beliebt und im allgemeinen Gebrauche sind vornehm-
lich in Großbritannien die Schildkrötensuppen. Ans den Eyern
wird in Südamerika ein Oel gewonnen, das zum Brennen und
Salben gebraucht wird. Besonders benutzt man hierzu die Eyer
der großen Arranschildkröte, wovon Humboldt Nachricht mittheilt,