1844 -
Darmstadt
: Ollweiler
- Hrsg.: Nister, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
483
findet sich in Nord- und Südamerika. Sie gesellen sich sowohl
beim Brüten als bei der Wanderung in solch ungeheurer Menge
zusammen, daß es allen Glauben überschreitet, und wovon nichts
Aehnliches unter den Vögeln auf der ganzen Erdfläche vorkommt.
Ihre Wanderungen scheinen sie mehr aus Mangel an Futter als
aus Kälte zu unternehmen: denn sie liegen bis zum December um
die Hudsonsbai, wo sie aus dem Schnee die Wachholderknospen
fressen ; auch erscheinen sie in gewissen Gegenden mehrere Jahre gar
nicht, und ein andermal in einer Unzahl.
In Pennsylvanien, Tenessen und Virginien setzen diese Züge
in Erstaunen, und dennoch sind das nur Streifzüge gegen die
Millionen, welche man in den westlichen Wäldern am Ohio,
Keutuky und Indiana antrifft, wo sie ihr Lieblingsfutter, die Buch-
nüsse, in Masse finden. Haben sie dieselben in einem großen
Waldstrich aufgezehrt, so fliegen sie alle Morgen 60 bis 80 eng-
lische Meilen weiter zu einem andern und kehren des Abends wieder
zum Schlafen zurück. Solche Plätze sehen fürchterlich aus. Der
Boden ist weit und breit mit -ihrem Mist einige Zoll hoch bedeckt,
alles Gras und Unterholz-vertilgt, die Oberfläche mit großen Aesten
bestreut, die durch das Gewicht der auf einander sitzenden Vogel-
klumpen abgebrochen sind; die Bäume selbst dürr, als wären sie
von der Art umhauen, auf 1000 Morgen weit. In vielen Jahren
wächst nichts mehr auf solchen Stellen der Verwüstung.
Entdeckt man solche Ruheplätze, so kommen die Bewohner von
großer Ferne des Nachts mit Flinten, Stangen, und in wenig
Stunden haben sie ihre Säcke gefüllt und auf die Pferde geladen.
Für die Indianer ist solch ein Schlaf- oder Brütplatz eine wichtige
Quelle des Natioualreichthums. Die Brutplätze. haben übrigens
eine größere Ausdehnung, gewöhnlich in Buchenwäldern. In
Keutuky erstrecken sich dergleichen von Süden nach Norden über
40 Meilen und sind einige breit. Fast jeder Baum hat Nester.
Sie kommen am 10. April und gehen schon mit ihren Jungen
Ende May. Sobald die Jungen fast flügg sind, ziehen die Be-
wohner dahin mit Wägen, Küchengeschirr, Betten und Alerten und
schlagen ein ordentliches Lager auf. Der Lärm ist so groß, daß
keiner des andern Wort 'versteht und die Pferde scheu werden.
Der Boden liegt voll Sieste, Eyer und Junge, womit sich ganze
Heerden Schweine mästen; Habichte, Bus-Aare und Adler fliegen
in Menge herum und holen die nackten Jungen nach Belieben;
während von 20 Schuh Höhe bis zu den Gipfeln ein beständiger
Tumult von flatternden Tauben und krachendem Holz statt findet.
Nun fällt man die Bäume, worauf am meisten Nester stehen; dabei
schlagen sie Aeste von andern ab, so daß man oft 200 ganz fette
Junge bekommt, nicht viel kleiner als die Alten. Ein Baum kann
100 Nester haben, aber in jedem nur ein Junges. Es ist gefähr-
lich unter diesen flatternden Millionen herum zu gehen, weil un-
aufhörlich Aeste brechen, von dem Koth, der gleichsam herunter
regnet, nicht zu reden.
31*