1844 -
Darmstadt
: Ollweiler
- Hrsg.: Nister, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
486
zu dem Großen auch das Kleine gehöre. Und gewiß, wer den
lieb hat, der sich selbst mit einer Gluckhenne verglich, der wird
auch der Glucke und ihren Küchlein nicht abhold seyn.
Strauszartige Vögel.
531. Der Strauß.
Der Strauß ist ein gar eigener Vogel, der, wenn er gejagt
wird, sich zwar in mächtiger Eile aufmacht-und mit seinen langen
Beinen so schnell läuft, als wollte er in kurzer Zeit die ganze,
weite Wüste durchmessen, aber wenn er kaum etliche Feldweges
weit so hinaus gelaufen ist, da fängt er an sich allmählig wieder
links herum zu wenden und je weiter er kommt, je größer die Eile
war, desto mehr zieht sich der Weg wieder links herum, und nach
nicht gar langer Zeit ist er wieder da, von wo er auslief; denn
das dumme Thier hat die Unart an sich, bei solcher Gelegenheit
immer in einem Kreise zu rennen. Wenn daher der Feind, der
dem Strauß wegen seiner schönen weißen Federn, so wie wegen
seines Blutes und Fettes nachstellt, der schlaue Araber, den großen
Vogel aufgejagt und ein Stücklein Weges zu Pferd ihn verfolgt
hat, und er sieht nun, daß der Strauß, seinen schnellen Füßen
vertrauend, und dabei mit den kurzen Flügel rudernd, den Kopf
hoch in die Höhe hält, und mit Sturmwindseile dahin fährt, gibt
er sich weiter keine Mühe den Vogel einzuholen, sondern versteckt
sich, etwa hinter einen Felsen, ganz in der Nähe des Weges, auf
welchem der Strauß noch eben vorbeirannte. -Er kann sicher darauf
rechnen, daß je größer der Brast, je lärmender und augenfälliger
der Lauf des Vogels war, desto eher kommt er wieder zu dem
Punkt des Kreises, wo der Feind auf ihn lauert und geräth diesem
nun desto leichter in die Hände. —
Unser Leben gleicht oft dem Laufe des Vogels Strauß. Bei
aller anscheinenden Eile dem Verderben zu entrinnen, laufen wir
in einem solchen Kreise, welcher immer wieder sich hinziehet, von
wo er anhnb. Wir legen die Unarten der früheren Kindheit ab
und gerathen in den frechen Mnthwillen und Leichtsinn der Jugend;
wir lassen den Mnthwillen, oder er verläßt uns, und siehe der
Stolz und die Selbstsucht des späteren Alters beschleichen uns.
Sumpfvögel.
532. Räthsel.
Einfremder Reisender, mir ist fürwahr
Sein Name ganz und gar entfallen,
Besucht uns, wie die Nachtigallen,
Mit seinen Brüdern Jahr für Jahr.
Ein Nest von Reisern, Torf und Rohr
Erbaut er sich auf unsern Scheunen;
Mit rothem Schnabel, langen Beinen
Geht er einher durchsumpf und Moor.
Sein Kleid sieht weiß und dunkel aus.
Er kann nicht singen,auch nicht plappern,
Sein Ton ist nur ein leichtes Klappern'
Und Frösche sind sein liebster Schmaus'
Ihm droht nichtschlinge, noch Geschoß,
Er ist dem Landmann lieb und theuer;
Ganz sorglos legt er seine Eyer
Und zieht dann seine Jungen groß.
Verschwindet nun der Sonnenblick,
Verstummen uns'res Waldes Lieder,
Dann sucht er wärm're Länder wieder
Und läßt das leere Nest zurück.