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1. Lebensspiegel für Landleute - S. 606

1844 - Darmstadt : Ollweiler
606 schnell und unwillkührlich durch dasselbe. Auch der feinste Heuchler findet in einem wenig beachteten Blick seinen Verräther. Be- trachtet den Zornigen — er strahlt gleichsam verzehrendes Feuer aus; — den Schuldbewußten, er kann den Blick nicht fest zu euch erheben; — den Tückischen, er möchte sich vor euch verbergen; — den Redlichen, der nichts zu scheuen, und keine Schuld zu ver- heimlichen hat, er zeigt euch den offenen, hellen, freundlichen Blick der Unschuld, durch welchen ihr in die Tiefen seiner Denkart nieder sehet. Auch in dieser merkwürdigen Einrichtung der Natur liegt ein höherer Zweck Gottes. Daß die Gemüthsart des Sterblichen sich so schnell in seinen Blicken spiegelt, scheint nicht blos zur Absicht zu haben, daß wir uns vor unsers Gleichen hüten können, wenn er gefährlich ist, oder uns an ihn anschließen, wenn er gutartig scheint: nein, die Tugend liebenswürdig, das Laster ekelhaft zu machen, schon durch den bloßen Sinn des Gesichts, ist eines der zahllosen Erziehungsmittel des Menschengeschlechts in der Hand Gottes. Seelenvollkommenheit ist immer das letzte und höchste Ziel. So innig kann kein Blindgeborner die Tugend lieben, das Laster verabscheuen, als derjenige, welcher jene in ihrer Unbefangenheit und schönen Erhabenheit, oder die Sünde in den verzerrten Ge- berden auf jedem Menschenantlitz lebhaft sinnlich dargestellt erblickt. Es begegnet kein Sterblicher einem andern, ohne sogleich ans seinem Gesicht zu lesen: Waö ist dieser in seinem Innern werth? Hat er Edelmuth oder Heimtücke? Ist er redlich oder falsch? freundlich oder abschreckend? Und wie uns Gott auf diese Weise täglich mit sichtbaren Bildern edler und unedler Seelen umringt, legt er den Reiz in uns, selbst edler und besser zu sein, um Gott und Men- schen angenehmer zu erscheinen. — Auch der Verdorben sie versucht es; so groß ist die Gewalt des Sittlich-Schönen auf des Menschen Gemüth. Aber der Bösewicht, der Thierisch-Gesinnte, das Herz mit der Miene verwechselnd, übt nicht jenes, sondern nur diese, und bringt es höchstens bis zum Kunststück der Heuchelei. Das Thierische schimmert ihm überall durch die Larve der Tugend hervor, und sein Antlitz wird eine widrige Verzerrung. 652 Und der Herr wandte sich und sahe Petrus an. Es ist schon eine große Kraft in dem Blick eines Menschen, der Gottes Ernst und Gottes Liebe an seinem Herzen erfahren hat, und der den Segen dieser Erfahrung in seinem Herzen bewahrt; wie groß muß dann erst die Kraft eines Blickes von dem seyn, dessen Augen Seele und Geist in ihren innersten Tiefen dnrchdrin- gen, und vor welchem alle Gedanken und Anschläge des Menschen- herzens bloß und offenkundig daliegen! Zu Berg, bei Stuttgart, lag ein alter, vom Schlagffuß ge- lähmter Mann, Johann Georg Boley, Jahre lang auf dem Krankenbette und wartete mit innigster Sehnsucht, doch ohne Un- geduld, der lieben Stunde, die ihn heimführen sollte zu seinem
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