1867 -
Rostock
: Hirsch
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Bürgerschule, Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
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tesdienste abzuhalten haben, müssen daher Tag und Nacht in der Kirche blei-
den und sich Lebensmittel durch kleine Öffnungen von außen hineinreichen
lassen. Auch Pilger bringen gerne Tag und Nacht in der Kirche zu. — Die
eigentlichen Besitzer der Kirche sind die Griechen.
Die Juden bewohnen den elendesten Theil der Stadt, das Thal zwi-
schen Zion und Moria. Dort leben sie in traurigen Hütten, mitten unter
Schutt und Trümmern, in gräßlichem Elend, größtentheils von den milden
Gaben ihrer Brüder in Europa. Gehaßt, verhöhnt, verfolgt, ausgestoßen
von der Welt, dulden sie alles Elend, ohne zu murren und zu klagen, und
sind zufrieden, daß sie je zuweilen dort liegen und weinen dürfen, wo ihre
Väter sangen und sich freuten. Ein Haufe von Menschen, in Lumpen geklei-
det, ein geringer Pöbel, zum Leiden geboren, eine Schar von Sklaven, von
ihren übermüthigen Gebietern mit Füßen getreten---------das ist das Volk,
von dem die Schrift sagt: „Israel, wer ist dir gleich?" Aber hoffnungs-
los ist Israel nicht elend — wie könnte ein Volk zwei tausend Jahre ohne
Hoffnung bestehen! — sondern dies ist die Hoffnung, davon es lebt: „So
ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, will ich mich von euch finden
lassen", spricht der Herr.
Bethlehem.
Auf dem Wege von dem königlichen Jerusalem nach der kleinen Stadt
Bethlehem kommt man an Rahels Grab vorbei und erblickt bald dar-
auf ganz nahe vor sich auf zwei mit Gebüsch bewachsenen Hügeln den Ort,
der wohl klein war unter den Tausenden in Juda, aber mit Nichten klein ist
in den Augen eines Christen, weil aus demselben der Herr kam, dessen Aus-
gang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Bethlehem ist ein un-
scheinbares Städtchen und hat, mit Ausnahme einer einzigen Kirche, keine
Merkwürdigkeiten aufzuweisen. Aber dafür ist die Kirche auch eine der präch-
tigsten im ganzen heiligen Lande. Sie ist vor etwa 1500 Jahren von einer
Kaiserin erbaut und steht über der Grotte, in welcher der Heiland geboren
ist. Die Grotte selbst, zu welcher man in der Nähe des Altars eingeht, ist
eine Felsenhöhle von etwa 36 Fuß Länge und 12 Fuß Breite und.diente,
wie wir wissen, zum Stalle für das Vieh. Dies ist die Herberge, in wel-
cher der Heiland der Welt geboren wurde! Ach Herr, Du Schöpfer aller
Ding, wie bist Du worden so gering! Jetzt ist die Grotte mit Sammet und
Seide ausgeschlagen und wird Tag und Nacht durch goldene und silberne
Lampen erhellt. Denn nun wandeln die Heiden in dem Lichte und die Kö-
nige in dem Glanze, der in Bethlehem aufging, und wetteifern mit einander,
den Ort zu zieren, von wo das Licht ausgegangen ist. Bethlehem ist der
einzige Ort in Palästina , der fast ganz von Christen bewohnt wird. —
Etwa eine Viertelstunde von dem Städtchen liegt eine grüne Ebene, wo die
Hirten ihre Herden sollen gehütet haben, als sie die Engelsbotschaft empfin-
gen: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren
wird; denn euch ist heute der Heiland geboren."