1867 -
Rostock
: Hirsch
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Bürgerschule, Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
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Leib mit Pulver und zündeten dieses an; selbst die Todten wurden noch so
verstümmelt, daß man, als man die Leichen begrub, eine Menge abgehauener
Hände, Füße und anderer Gliedmaßen zusammen suchte und in eine Grube
warf. Ein ausbrechendes Feuer nöthigte die Soldaten abzuziehen und rettete
die Stadt vor gänzlichem Untergang.
36. Zerstörung Magdeburgs.
Von Neubrandenburg zog Tilly nach Magdeburg, um diese Stadt
zu züchtigen, weil sie gegen den Kaiser ungehorsam gewesen war und sich mit
den Feinden verbunden hatte. Er schloß sie ringsum eng ein und bedrängte
sie hart von allen Seiten; denn er wollte sie haben, ehe der Schwedenkönig
ihr zu Hülse kam. Gustav Adolf aber eilte schnell herbei, die Stadt vor dem
sichern Verderben zu bewahren. An dem, was Neubrandenburg erfahren
hatte, sah er klar, was erst Magdeburgs Schicksal sein würde, wenn es in
Tillys Hände fallen sollte. Wider Erwarten fand er bei den Protestanten
keine Unterstützung, sondern eitel Widerspruch und Widerstreben. Zuerst hielt
ihn der Kurfürst von Brandenburg auf und konnte nur mit Gewalt gezwun-
gen werden, daß er die Schweden durch sein Land ziehen ließ. Dann verschloß
der Kurfürst von Sachsen den Übergang über die Elbe bei Wittenberg. In-
zwischen lauteten die Nachrichten^ von Magdeburg immer trüber. Gustav
Adolf beschwor die Evangelischen, die bedrängte Stadt nicht im Stiche zu
lassen, sie würden im jüngsten Gericht darob zu Schanden werden; umsonst:
man konnte oder wollte sich nicht entschließen.
Unterdessen schritt die Belagerung von Magdeburg rasch vorwärts. Ein
Außenwerk nach dem andern wurde gestürmt. In vier Wochen waren die
Kaiserlichen bis dicht an die Mauer vorgedrungen und hatten alles zum
Sturme bereitet. In der Stadt war Mangel an Pulver und Lebensmitteln.
Aber die Belagerten verloren ihren Muth nicht; denn sie hofften jeden Au-
genblick, daß Gustav Adolf erscheinen und sie aus aller Noth erretten werde.
Wie entsetzlich wurden die Armen in ihrer Hoffnung getäuscht! Am 20. Mai
1631 ließ Tilly von allen Seiten Sturm laufen. Rasenden gleich drangen
die Kaiserlichen durch die Grüben und kletterten an den Mauern in die Höhe.
Eine dreitägige Plünderung war ihnen verheißen, wenn sie siegen würden.
Diese Aussicht hatte ihren Muth aufs höchste angefacht. Als die Mauern
erstiegen waren, wurde der Kampf im Innern der'stadt fortgeführt. Jede
Straße war ein Schlachtfeld, jedes Haus eine Festung, die erobert werden
mußte. Sobald der Sieg entschieden war , wurde die Stadt den wilden
Horden preisgegeben. Es ist nicht mit Menschenzungen auszusprechen, wie
viel Elend über die unglücklicheir„Bemohner hereinbrach. Es wurde gemordet,
als ob man an dem Begräbniß der Menschen arbeite. Drei Tage hatten
die Horden Zeit, um den Preis der Schande mit einander zu wetteifern.
Die Kroaten, Ungarn und Italiener thaten sich vor allen in Grausamkeit
und Blutdurst hervor. Menschen schienen das nicht mehr zu sein, sondern
der Auswurf der Hölle. Nach der Plünderung brach eine Feuersbrunst aus,
welche fast die ganze Stadt in Asche legte. Über zwanzigtausend Menschen sind
in jenen Tagen in Magdeburg umgekommen. Tilly berichtete nach Wien:
seit der Zerstörung von Jerusalem sei solch ein Sieg nicht gesehen worden.
Am vierten Tage hielt Tilly durch Blut und Leichen und Trümmer feierlich
seinen Einzug und ließ bei Trommelschlag verkündigen: die nun noch lebten,
könnten sicher hervorkommen; denn sie sollten Verzeihung empfangen. Nach-
dem der Dom gereinigt war, wurde ein Daukfest gefeiert, und — man kann
es kaum begreifen — „Herr Gott, dich loben wir" klang es mit hellen Stim-
men zum Himmel empor.