1867 -
Rostock
: Hirsch
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Bürgerschule, Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
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überkleidet und den Wald in einen Feengarten mit Schlössern und
Thürmen verwandelt und die Zinnen mit Gold und funkelnden
Edelsteinen besetzt, so baut er uns eine Herrlichkeit auf, wie sie
köstlicher in den Märchen der Kinder nicht beschrieben wird. Aber
die Pracht dauert nicht lange. Wenn die Sonne darauf scheint,
zerfließt sie in Wasser — ein anschauliches Bild von aller Herrlich-
keit dieser Welt, die der Mensch keine Stunde lang gewiß hat.
Der-Wasserdampf ist unsichtbar, so lange er Luft- oder Gas-
gestalt hat. Wenn er sich abkühlt, verdichtet er sich zu kleinen hohlen
Bläschen, die wie Seifenblasen vom Winde hin und her getrieben
werden und schließlich zur Erde sinken, um vielleicht in der nächsten
Viertelstunde als Dampf wieder in die Höhe zu gehen. Die Ab-
kühlung geschieht dadurch, daß entweder ein kälterer Luststrom durch
eine warme Schicht streicht, oder daß ein warmer Luftstrom in einen
kalten Raum eintritt. Ersteres kann man sehen, wenn in einer
Schulklasse im Winter ein Fenster geöffnet wird, letzteres, wenn
wir den warmen Athem in die kalte Luft aushauchen. In beiden
Fällen verdichtet sich der Wasserdampf der wärmeren Luft zu Bläs-
chen und wird als Dunst sichtbar. Kühlen sich die untern Schichten
der Atmosphäre so weit ab, daß das Gas zu Bläschen verdichtet
wird, so entsteht der Neb-el. Ans Seen, Mooren und Wiesenthä-
lern ruhen am Abend häufig starke Nebelschichten, weil hier die
Luft sich rasch abkühlt und mehr Wasserdampf enthält, als über
trocknem, festem Boden. Der Nebel reicht nur so weit, als die kalte
Luftströmung reicht. Daher ist die Grenze zuweilen so scharf ab-
geschnitten, daß man mit zehn Schritten aus dem Sonnenschein in
den dichtesten Nebel utid umgekehrt gelangen kann. Hieher gehört
die Erscheinung, die man fastauf allen bewachsenen Höhen in Meck-
lenburg wahrnehmen kann, daß nach einem Regen an verschiedenen
Stellen Rauch aus dem Walde aufzusteigen scheint. Achtet man
genauer auf die Stellen, an welchen dies geschieht, so findet man,
daß es freie Plätze sind, welche näher oder ferner von Holz ein-
geschlossen werden. Hier bescheint die Sonne ungehindert den
Erdboden und erwärmt ihn mit ihren Strahlen. So wie das
Negenwasser über den Wald ausgegossen ist, fängt es auf dem
warmen Boden in dem kesselartig eingeschlossenen Raume wieder an
zu verdunsten nnb in die Höhe zu steigen. Aber über den Wipfeln
der Bäume weht eine kältere Lust. Hier augekommen, verdichtet
der Dampf sich zu Nebel und erscheint in der Ferne als aufsteigende
Rauchsäule. Mit der Dunstkrone, welche der Vietingsberg bei Par-
chim nach einem Regen sich auf das Haupt setzt, hat es dieselbe
Bewandtniß. Die Leute sagen: „Vieting braut", und denken dabei
an die Sage, daß ein blutgieriger Räuber, der einst in einer Höhle
des Berges hauste, uach seinem Tode zur Strafe in den Berg ge-
bannt worden ist.
Wenn die obern Schichten der Luft sich so weit abkühlen, daß
das Wassergas sich zu Bläschen verdichtet und sichtbar wird, so
entstehen die Wolken. Nebel und Wolke unterscheiden sich also
weiter gar nicht, als daß der eine dicht an der Erde, die andere
oben in der Luft steht. Eine Wolke mag selten zehn Minuten un-
verändert dieselbe bleiben; nicht bloß wechselt sie unaufhörlich ihre
Gestalt, sondern sie entsteht und vergeht auch theilweise vor unsern
Augen. Es kann geschehen, daß eine Wolke, die sich senkt und in