1826 -
Berlin
: Dümmler
- Autor: Baumgarten, Johann Christoph Fr.
- Hrsg.: Wilmsen, Friedrich Philipp
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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O, wen Mutterzä'rtlichkeit nicht riihrt,
Der ist keiner Zähre —
Wer die Pflegerinn nicht ewig ehrt,
Der ist nicht des Daseins werth!
3. Folgsamkeit und Unfolgsamkeit.
Leopoldine und Elise hatten einen sehr guten Vater
und eine liebe Mutter, die gegen beide Kinder gerecht und
billig waren. Dennoch wurde Elise von den Eltern mehr
geliebt, als ihre Schwester Leopoldine. Aber sie verdiente
es auch, weil sie sich stets bestrebte, die Wünsche ihrer
Eltern zu erforschen, und sich nach denselben zu richten.
Es war eine Freude, zu sehen, wie heilig ihr der Wille
des Vaters und der Mutter war. Jedes Wort, daß diese
sprachen, jeder Befehl, den sie ihr gaben, jede Bitte, die
sie an sie thaten, war Elisen theuer und werth. Fiel ihr
das, was die Eltern ihr auftrugen, auch noch so schwer,
so ließ sie es sich doch gefallen — ihre Eltern wollten es,
dieß war für sie genug. Nach und nach hatte sie es so weit
gebracht, daß sie es dem Vater oder der Mutter schon an-
merkte, was sie wünschten. Noch ehe sie ein Wort darüber
verloren, war Elise schon bereit, den Willen ihrer Eltern
zu erfüllen. Es war natürlich, daß diese große Folgsam-
keit der Tochter, den Eltern sehr gefiel, und daß diese sie
deßhalb sehr lieb gewannen. Leopoldine betrug sich ganz
anders, als ihre jüngere Schwester. Ihre Wünsche wa-
ren oft von der Art, daß man sie nicht erfüllen konnte;
ihre Einfalle thöricht, ihre Begierden heftig. Alles, wo-
nach ihr gelüstete, wollte sie sogleich haben. Machte man
ihr Vorstellungen, daß es nichts für sie sei, daß es ihr
leicht schaden könnte, so verzog sie ihr Gesicht, es traten
ihr Thränen in die Augen, und bisweilen stampfte sie wohl
gar mit den Füßen. Ost wollte sie das nicht thun, was
ihr die Eltern hießen, und diese mußten bisweilen Ernst
und Drohungen anwenden, um sie zu irgend etwas zu
bringen. Solch eine Unfolgsamkeit konnte nicht gefallen,
Einmal hatte die Jugend des Ortes, wo diese zwei Schwe-
stern wohnten, ein kleines Fest unter freiem Himmel.
Leopoldine war auch dazu eingeladen. Allein sie hatte
Halsweh, und da überdieß die Witterung etwas kühl war,