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1. Die weite Welt - S. 369

1865 - Leipzig : Amelang
— 369 — Grauenerregend ist der Anblick der Ljanos, wenn in der entsetzlichen Gluth des Sommers die Grasdecke verbrannt, verkohlt und in Staub zerfallen ist. Die Menschen sind ent- flohen; die ganze Natur lechzt im Todesschlafe. Wolken von Staub werden von jedem Lüftchen emporgejagt, während der brennendheiße Boden sich zerspaltet und zerklüftet. Tritt aber die Regenzeit ein, so verwandelt sich das Bild der Landschaft wie mit Einem Schlage. In wenigen Tagen sprießt das üppigste Grün hervor; die von der Hitze verscheuchten Rinder und Pferde tummeln sich in dem erfrischenden Grase umher; im Schilf versteckt sich der Jaguar, das schöngefleckte amerikanische Raubthier aus dem Katzengeschlechte, um seine Bente zu beschleichen. Steigt die Fluth höher, so wird die Ebene zu einem ungeheuren See, aus dem nur wenige Hügel hervorragen, — die letzte Zuflucht der geängsteten Heerden. *) Gar manches edle Thier ist von der Fluth ereilt und von dem amerikanischen Krokodil, dem Kaiman oder Alligator überwältigt worden, dessen Reich jetzt beginnt. Er hat nur halbe Schwimmhäute^und eine sehr stumpfe Schnauze; auch ist er nur halb so groß. wie das Nilkrokodil (S. 296); seiner Gefräßigkeit wegen ist er jedoch nicht weniger gefürchtet. An manchen Stellen ist der Spiegel des Slromes, so weit das Auge blickt, mit Kaimans bedeckt, die wie die Balken einer Brücke aneinander gereiht sind. Wehe dem Fahrzeuge, das sich in ihre Nähe wagt! In den Sümpfen und Pfützen am Rande des See's erwacht der Zitteraal ans seinem Sommerschlafe, jener aalartige, 5,—6 Fnß lange Fisch, welcher vermöge eine« besonderen Organes starke elektrische Schläge auszutheilen im Stande ist, mit denen er sich in Ermangelung anderer Waffen gegen seine Feinde wehrt oder seine Beute über- wältigt. Hat er jedrch mehrere Schläge nacheinander dem Gegner beigebracht, so verliert er die Kraft dazu, und die Indianer werden seiner dadurch Meister, daß sie Pferde in die Sümpfe jagen, in denen er haus't. Die armen Thiere werden mit derben Schlägen empfangen und suchen dem unsichtbaren Feinde zu entrinnen. In wilder Angst eilen sie dem Ufer entgegen, doch werten sie von den dort aufgestellten Indianern wieder in den Sumpf zurück getrieben. Manche erliegen den heftigen Angriffen; endlich jedoch ermattet die Kraft deö Siegers. Die Zitteraale selbst sind eö jetzt, die den Kampf auf geben und sich vor den schäumenden, stampfenden Rossen ans Ufer zurückziehen, wo sie nun vermittelst kleiner, an langen Stricken befestigter Harpunen getödtet werden. — Ein noch wertvolleres Erzeugniß des Thierreichs sind die Schildkröten cier, die in ungeheurer Menge an den sumpfigen Ufern deö Stromes und auf den Inseln abgesetzt werden. Sie bilden ein vorzügliches Nahrungsmittel; außerdem wird anö ihnen ein Oel gewonnen, das weit umher versandt wird. Die Bevölkerung der Steppen am Orinoco besteht fast nur aus Iudiancrstänimcn. Da finden sich au den Mündungen des Strome« noch die Ueberreste der Karaiben **), die vor der Ankunft der Europäer das ganze Küstengebiet sammt den südlichen Inseln besetzt hielten. Die Fächer Palme ist der wahre Lebensbaum dieser klcinge wordenen Zahl unüberwundener Indianer. Hängematten, aus den Stielen der Blätter gewebt, spannen sie künstlich von Stamm zu Stamm, um nach Art der Äffen aus den Bäumen zu leben, wenn der vom Himmel herabströmende Regen ihre Wöhnplätze überschwemmt. Unter den dicht verwachsenen Kronen sind sie sicher vor Sturm und Regen. Mag sich auch die ganze Gegend zum See umwandeln, — der Karaibe bleibt ruhig und sorglos in seiner kleinen, nestartigen Hütte, die er tagelang nicht zu ver- lassen braucht, da der Baum ihm bietet, was er zu seiner Nahrung bedarf: Mark, Saft und Früchte. Der Kahn, am Stamme festgebunven, schaukelt sich auf dem Wasser; der Indianer benutzt ihn nur, wenn ihn nach Fhschnahrung gelüstet. Fackellicht lockt die Fische herbei, die er alsdann mit dem Wurfspeere oder mit dem Pfeil erlegt. Die entsetzliche Sitte, gefangene Feinde zu schlachten und zu verzehren, um derer willen ihre Borfahren vorzugsweise als Menschenfresser bezeichnet worden sind, soll auch jetzt noch nicht ganz von den Karaiben aufgegeben sein. Nur wenige haben au feste Wohn- sitze gewöhnt werden können; die meisten ziehen unablässig von Ort zu Ort. Das Christenthum hal keinen Eingang bei ihnen gefunden. Zwar waren, aller Gefahren ungeachtet, seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts Missionare aus der Brüdergemeinde bemüht, in jenen ungesunden Küstengegenden das Evangelium zu verkündigen, auch war es ihnen schon gelungen, mehrere Missionsstationen zu begründen, als etwa ums Jahr *) Der Orinoco tritt alsdann sogar mit einem Nebenflüsse deö A in a z o n e n str o me S in Ber- bindung, so dass eine Stromgabelung cnlsteht; eine Erscheinung, die sich im Gebiete deö Pa- rana wiederholt. **) Richtiger: Kariben. 24
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