1867 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: ,
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
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bis die Wölfe herankamen; dann überließ er es ihnen zur Beute. Es schien,
als sollten sie dadurch einen Vorsprung gewinnen; aber nicht lange, so war
ein Theil der Wölfe wieder hinter ihnen her, und einige schickten sich an, in
den Schlitten zu springen. Der Edelmann gab sich verloren. Da sagte
Jakob: Herr, nun will ich in Gottes Namen auch noch das Letzte für euch
thun. Dort sind schon die Lichter von Ostrowo, und ihr könnt das Städt-
lein erreichen, wenn ich nur auf ein paar Minuten euch die Bestien vom
Halse halte. Sorgt für mein Weib und meine Kinder! Damit zog er den
Säbel, sprang aus dem Schlitten und stürzte sich mitten unter die Wölfe.
Diese stutzten, fielen ihn aber dann wüthend an und übermannten ihn endlich.
Sein Herr war mittlerweile unversehrt entkommen. Schnell nahm er Leute
zu sich und eilte in den Wald zurück; aber er fand nur die Gebeine seines
treuen Knechtes. Die sammelte er und ließ sie begraben. Das Weib aber
und die Kinder desselben versorgte er väterlich.
40. Treue einer Magd.
Sie heißt la Blonde und diente 23 Jahre bei ihrer Herrschaft und
hätte länger bei derselben gedient, wenn die Meistersleute länger gelebt
hätten. Lange Jahre ging es bei dem Pelzhändler Maignon zu Paris
nach dem Schnürlein, und la Blonde bekam die guten Tage der Herrschaft
auch zu spüren und konnte in dieser Zeit 350 Thaler Spargeld auf die
Seite legen. Aber nun wandte sich das Blättlein. Der Pelzh ndler machte
Bankerott und gerieth in die bitterste Armuth. Da hätte eine andere Magd
gedacht: Ja, da bin ich kein Narr. Hat das Glück meine Herrschaft ver-
lassen , werd' ich auch um eine andere mich umsehen dürfen. Nicht so la
Blonde. Am guten Tage war sie guter Dinge gewesen, und den bösen
nahm sie jetzt auch für gut und blieb, selbst als ihr die Frau sagte, daß
sie in ihren betrübten Umständen auf keinen Lohn rechnen könne. Kummer
und Sorge nagten an des Pelzhändlers Leben; in Jahresfrist starb er und
hinterließ nichts als eine kränkliche Frau und zwei Waislein, und einen
Edelstein — das war die Magd. Da la Blonde der kranken Frau und
der Kindlein pflegen mußte, wurde nichts verdient, sondern nur gebraucht,
und als die Pelzhändlerin alles Entbehrliche verkauft hatte, brach la Blonde
ihr Spargcld an und holte nach und nach davon, bis das auch aufgebraucht
war. Zum Glück starb zu dieser Zeit eine Base der Magd und hinterließ
ihr ein Erbe, das jährlich seine 50 Thaler trug. Auch die gab la Blonde
hin, und als auch das in dem theuren Paris nicht lange herhielt, verkaufte
sie Kleider und andere Sachen von Werth, und zuletzt suchte sie als Kranken-
wärterin die Nächte über etwas zu verdienen, während sie am Tage der kranken
Frau pflegte. Als diese starb, wollte man die armen Kinder in ein Spital
aufnehmen; aber la Blonde erklärte: So lange ich lebe, sollen die beiden
Kinder an mir eine Mutter haben. Schon wollte sie mit den Waislein nach
ihrem Geburtsort Nüel aufbrechen, weil sie dort billiger durchzukommen
hoffte, da ruft sie eines Tages der kinderlose Charpentier, ein wohlhabender
Zuckerbäcker, und spricht: Hört la Blonde, Ihr braucht nicht fortzuziehen;
ich brauche iw meinen alten Tagen eine rechtschaffene Haushälterin. Da
hab ich gedacht, Ihr zieht mit den beiden Waislein zu mir, dann haben sie
einen Vater und eine Mutter und ich habe eine Haushälterin; so ist allen
geholfen. Mit Freuden willigte die treue Seele ein und ihr Ende war lieblich
und sanft wie das Abendroth nach einem schönen Tage, und ich denke, sie
werde auch weit oben rechts zu erfragen sein am Tage der Vergeltung.