1870 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Runkwitz, Karl
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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grossen verwund erungsvollen Blick im Kreise um sich her. Dann
stand er auf und traf gegen 9 Uhr in Leipzig ein; hier nahm er
wie durch einen Spott Gottes das letzte Nachtlager im Gasthofe
von Preussen.
Des andern Morgens in der 9. Stunde, als man bereits
schiessen hörte, brach Napoleon auf, um Leipzig zu verlassen. Die
Strassen waren mit Flüchtlingen, Kanonen, Wagen voll gepfropft.
Er kam in ein so arges Gedränge, dass seine Begleiter mit flachen
Hieben in die Menge schlugen, um Schritt für Schritt Platz zu
schaffen. Eine ganze Stunde verging, ehe Napoleon vom Peters-
thore bis an das äussere Ende der Stadt gelangte. In sich ge-
kehrt, öfters an ein Fläschchen riechend, ward er von dem Strome
der Flüchtigen fortgeschoben. Eine Stunde darauf erstürmte die
Königsberger Landwehr unter ihrem Major Friccius das äussere
Grimmaische Thor, und nicht lange nachher drangen die Verblin-
deten auch an anderen Orten in die Stadt. Gegen 2 Stunden
hatte der Kampf in den Vorstädten gedauert, ehe die Verbündeten
in ihnen völlig Herren waren. Die Franzosen hatten sich mit
rühmlicher Ausdauer geschlagen, mehrmals angesetzt, die Einge-
drungenen wieder hinaus zu werfen; die Gassen und Gärten wa-
ren voll Blut und Leichen. Da trat ein Umstand ein, welcher
dem weiteren Kampfe ein Ende machte. Es ging stark auf 1 Uhr,
als durch die furchtsame Voreiligkeit eines französischen Feuer-
werkers die Elsterbrücke in die Luft flog und damit 20,000 Fran-
zosen der einzige Bückzug abgeschnitten wurde. Was noch an
alten Banden der Zucht gehalten hatte, riss nun; alles löste sich
auf. Tausende warfen ihre Waffen weg und eilten der Elster zu,
viele hundert aber fanden in dem angeschwollenen Wasser ihr
Grab, unter ihnen der polnische Fürst Poniatowski, vor zwei Ta-
gen erst von Napoleon zum Marschall ernannt.
Noch während die Trommeln den Sturmmarsch wirbelten,
während des Geknatters der Gewehre auf dem Fleischerplatze und
des Werfens von Granaten durch die Franzosen hielten Alexander
und Friedrich Wilhelm ihren Einzug. Der Jubel des Volkes über-
stieg alle Gränzen. Alle Fenster, selbst die Dächer waren mit
Menschen besetzt; tausendstimmiges Hurrah und Vivat wurde
ihnen von allen Seiten zugerufen; aus allen Fenstern wurde ihnen
mit Hüten'und weissen Tüchern zugewinkt, sogar mit Blumen ge-
worfen.
Die Schlacht der Schlachten war zu Ende ; sie hatte auf bei-
den Seiten 100,000 Mann gekostet. Erbeutet hatten die Verbün-
deten gegen 400 Kanonen, 900 Pulverwagen, gefangen genommen,
die Verwundeten und Kranken in Leipzig mit eingerechnet,
43,000 Mann. Mehr, als alles dies, wog der Gewinn, dass Deutsch-
land frei war bis zum Bheine; um Frankreich selbst zu kämpfen,
war von nun an Napoleons Aufgabe.