1870 -
Altenburg
: Bonde
- Autor: Runkwitz, Karl
- Auflagennummer (WdK): 4
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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wettergraues, trübes Jagdbild. Aber nun denke man sich diese Män-
ner, die mit nichts bewaffnet sind als mit einem rohen, selbstgeschmie-
deten Feuerrohr, auf dem Eise, hart an der von der Flutbrandung
unterwaschenen Kante. Man denke sich den erstarrenden Ost mit un-
gehemmter Gewalt über die Fläche stürzend und tausend seine Eis-
splitter umherschleudernd. Man denke sich diese Männer bald von dich-
ten Nebeln umwogt, bald vom Wasserschnee umwirbelt, der mit den
Salztheilchen des Meerdunstes gemischt sich beizend in die Haut ätzt.
Dann — ein einziger Windstoß von der offenen See her, und die
ganze Eisfläche ist von Wasser überfluthet — ein zweiter, und weithin
prasselt und kracht die trügerische Decke. Wogend hebt sich's vor den
Jägern, hinter ihnen, zur Rechten, zur Linken. Mächtige, schwarzgrüne
Wellen bäumen sich hervor; in weithin sichtbaren Schwingungen wankt
die ganze Fläche. Was vorher ein kaum halbfußbreiter Spalt, wird
unter tosendem Donner zum klafterbreiten Strom, was ein ruhiges
Wasser war, wird zum brandenden See, dessen messerscharf gekantete
Ufer immer weiter von einander weichen. Rings um den bedrängten
Schützen, soweit sein Auge späht, ist alles in Schollen zerklüftet —
und auf keiner haftet mehr der sichere Fuß. Von Riga's Citadelle
donnern dann wohl die Geschütze ihren Warnungsruf hinaus; aber im
wüthenden Kampf des Windes, Eises und Wassers versinkt seewärts
augenblicklich der Schall, und draußen, entfernt von aller Hülfe, wa-
gen die rigaischen Männer den Todessprung von einer Eisinsel zur
andern, um den gebrechlichen Kahn zu erreichen, — lautlos, spurlos
verschwindet mancher in der plötzlich unter ihm aufgähnenden Fluth.
Andere werden vom Sturm in's Meer Hinausgetrieben, und finden sie
den Tod nicht in den Wellen, so erliegen sie dem Hunger und der
Kälte. In solcher Zeit höchster Gefahr stehen die Zurückgebliebenen
am Ufer, unter ihnen im vollen Kirchenschmuck der Pfarrherr. Betend
harrt die Gemeinde, doch gleichzeitig für jegliche Hülfsleistung gerüstet.
Die Boote sind in's Wasser hinabgelassen, Ruder, Taue, Haken, Messer,
Büchsen liegen zur Hand. Und so wie man aus dem Gewirr der sich
hebenden und senkenden Eisberge die Barken der Heimwärtsstrebenden
erkennt, stoßen die Muthigsten vom Strande, jenen entgegen. Wer
dies aber wagt, hat vorher für alle Fälle das Abendmahl genommen,
wie es die Jäger nahmen, ehe sie zur Seehundsjagd auszogen. Wer
stirbt, nimmt diese Beruhigung mit sich hinab, sowie die andere, daß
Weib und Kind von der Gemeinde nicht verlassen werden.
307. Die lange Nacht in Hammerfest.
In Hammersest ist die lange Nacht die Zeit der Ruhe für alles
Handelsleben, und man möchte sagen: am Polarkreise setzt die Natur
dadurch dem ruhelosen Menschengeschlechte einen Markstein seiner Thä-
tigkeit. Das Wasser ist öde, die Fische haben Frieden, der schmutzige
Seelappe und der nordische Fischer liegen in Erdhütten am qualmigen
Feuer und warten dort im trägen Winterschlafe, bis der neue Tag er-
scheint. Die Kaufleute in Hammerfest bringen ihre Bücher in Ord-