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1. Leseblüthen! - S. 6

1854 - Hamburg : Herold
6 möge; schaffe sich selbst einen Mund, wer einen nöthig hat!" — Die Augen fanden es gleichfalls sehr sonderbar, dass sie allein für den ganzen Leib beständig Wache halten und für ihn sehen sollten. Und so sprachen auch alle Glieder des Leibes, und eins kündigte dem andern den Dienst auf. Was geschah? — Da die Füsse nicht mehr gehen, die Hände nicht mehr arbeiten, der Mund nicht mehr essen, die Augen nicht mehr sehen wollten, so fing der ganze Körper in allen seinen Gliedern an zu welken und nach und nach abzusterben. Da sahen sie ein, dass sie thöricht gehandelt hatten, und wurden einig, dass es künftig nicht wieder geschehen solle. Da diente wieder ein Glied dem andern, und alle wurden wieder gesund und stark, wie sie vorher gewesen waren. 9. Die Nene. Ein Landmann Hatte mit eigenen Händen eine Reihe edler Obstbäumchen gezogen. Zu seiner großen Freude trugen sie die ersten Früchte, und er war begierig zu sehen, von welcher Art sie sein möchten. Da kam der Sohn des Nachbars, ein böser Bube, in den Garten und lockte das Söhnlein des Landmannes, also daß sie hingingen, und die Bäumchen allesammt ihrer Früchte beraubten, ehe sie völlig gereist waren. Als nun der Herr des Gartens herzutrat und die kahlen Bäumchen erblickte, da ward er sehr bekümmert und rief: Ach, warum hat man mir das gethan? Böse Buben haben meine Freude verdorben! —- Diese Worte gingen dem Söhnlein des Laudmannes sehr zu Herzen, und er lief zu dem Sobne des Nach- bars und sprach: Ach, mein Vater ist bekümmert um die That, welche wir verübt haben. Nun hab' ich keine Ruhe mehr in meinem Gemüthe. Mein Vater wird mich nicht mehr lieben, sondern mit Verachtung strafen, wie ich verdient habe. — Da antwortete jener: Du Thor, dein Vater weiß es ja nicht und wird es niemals erfahren. Du mußt es ihm sorgfältig verhehlen und auf deiner Hut sein. Als aber Gotthold (so hieß der Knabe) nach Hause kam und das freundliche Antlitz seines Vaters sah, da vermochte er nicht wieder freundlich hinaufzusehen; denn er dachte: Wie sollte ich ihn fröhlich ansehen können, den ich betrübt habe? Kann ich mich doch selber nicht anblicken. Es liegt wie ein dunkler Schatten in meinem Her- zen. — Jetzt trat der Vater herzu und reichte jeglichem seiner Kinder von den Früchten des Herbstes, und Gottbold desgleichen. Da hüpften die Kinder herbei und freuten sich sehr und aßen. Gotthold aber verbarg sein Antlitz und weinte bitterlich. —- Da hob der Vater an und sprach: Mein Kind, was weinest du? Und Gotthold antwortete: Ach, ich bin nicht werth, daß ich dein Sohn
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