1843 -
Altona
: Schlüter
- Autor: Burgwardt, Heinrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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ten Alters Freudenthränen weinest, wenn du dann gen Himmel
blickest und freudig mich segnest, ach, was empfinde ich dann,
Vater! Ach, dann schwillt mir die Brust, und häufige Thrä-
nen quellen vom Auge. Da du heute an meinem Arm aus
der Hütte gingst, an der erwärmenden Sonne dich zu erquicken,
und die frohe Heerde um dich her sahest und die Bäume voll
Früchte,, und die fruchtbare Gegend umher, da sprachst du:
„meine Haare sind unter Freuden grau geworden, seid mir ge-
segnet, Gefilde! Nicht lange mehr wird mein dunkelnder Blick
euch durchirren; bald werde ich euch gegen seligere Gefilde ver-
tauschen!" Ach, Vater, bester Freund, bald soll ich dich ver-
lieren ? Trauriger Gedanke! Ach, dann, — dann will ich einen
Altar neben dein Grab hinpflanzen, und dann, so oft ein seliger
Tag kommt, wo ich Nothleidenden Gutes thun kann, dann will
ich, Vater, Milch und Blumen auf dein Grabmal streuen."
Jetzt schwieg er und sah mit thränendem Aug' auf den
Greis. „Wie er lächelnd da liegt und schlummert!" sprach er jetzt
schluchzend. „Es sind von seinen frommen Thaten im Traume
vor seine Seele gestiegen. Wie der Mondschein sein kahles
Haupt bescheint und den glänzend weißen Bart! O, daß die
kühlen Abendwinde dir nicht schaden und der feuchte Thau!"
Jetzt küßt er ihm die Stirne, sanft ihn zu wecken, und führt
ihn in die Hütte, um sanfter auf weichen Fellen zu schlummern.
G c ß n e r.
84. Die Sorgen des Lebens.
An einem Frühlingsmorgen führte der königliche Sänger-
David seinen Sohn Salomon auf die Höhe von Zion, um
ihm den Aufgang der Sonne, den der Knabe noch nicht gesehen,
zu zeigen. Noch war es Dämmerung und dichte Thauwölkchen
schwebten über den Thälern und Fluren, die sich _ unter ihnen
hinzogen und ausbreiteten, und netzten aus ihrer Fülle das Land.
„Was ist das? Vater," sprach der Knabe, als er an jedem
Blümchen Thautröpschen hängen sah, „haben die Blumen
geweint?" — „Das wol nicht," mein Sohn," erwiderte
der Vater, „die Blumen können nicht weinen; auch hätten
sie keinen Grund dazu. Das ist himmlischer Thau, der
sie erquickt und für die Hitze des Tages stärkt. Nur der
Mensch weint, wenn er in der Nacht des Lebens nach der Sonne
sich sehnt, daß sie seinen Weg erleuchte. — Aber auch für ihn