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1. Der Bildungsfreund in den Oberclassen deutscher Volksschulen - S. 159

1843 - Altona : Schlüter
159 sind Thränen eine große Erquickung, denn sie lindern sein Leid und mäßigen den Ubermuth seiner Freude. Jetzt standen sie auf der Höhe, und der Knabe sah die Landschaft, die er so oft im Schimmer des Tages gesehen hatte, nun in dem Dämmerlichte des Morgens und in Nebelschleier gehüllt. „Was ist das?" rief er, „hat eine Wasserfluth die Thäler überschwemmt?" — „Fürchte nicht," antwortete der Vater; „das sind die Thauwölkchen, die auch um uns schweben, nur weniger dicht, weil wir höher stehen. Auch würden sie uns minder dicht erscheinen, wenn wir mitten darin ständen; in der Ferne scheint unsern kurzsichtigen Augen Alles weit düsterer, als es ist, denn wir sehen dann die Massen; in der Nähe aber verschwindet uns das Meiste, denn wir können die Theilchen nicht sehen, woraus sie gebildet sind, wie du an den Thauwölk- chen siehst, die auch uns umgeben, die du doch aber' nur in ihren Wirkungen wahrnimmst. Dein Leben wird dir noch oft andere Belege dazu geben. Bald vergoldeten die ersten Strahlen der Sonne die Spitzen der Berge. Der Knabe versank sprachlos in dem Anblick der himmlischen Erscheinung, als sie hervorging über den Bergen, wie der Bräutigam aus seiner Kammer, und erst des Vaters Harfe und lauter Gesang: „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr groß; du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast; du breitest den Himmel aus wie einen Teppich!" — weckte ihn aus seinen Betrachtungen und gab seinen unaussprechlichen Gefühlen Bewußtsein und Worte. Der Psalm war verklungen, aber seine Gedanken und seine Töne füllten und bewegten noch lange die Seele des Knaben. Schweigend ruhte er an der Brust des Vaters. Die Sonne war indeß höher am Himmel heraufgetreten und füllte nun auch mit Licht und Wärme die Thäler. Da hob sich die Nebeldecke und regte sich, wie das Meer, wenn ein Morgenlüftchen es kräu- selt. Theils zerfloß sie in Thau, theils schwebte sie auf unsicht- baren Flügeln an den Rändern der Berge hin, lösete sich in der klaren Luft und verschwand, als wäre sie nicht da gewesen. „Siehe, mein Sohn," sprach der Vater endlich, „hier ein Bild des menschlichen Lebens, seiner Leiden und Freuden. So ruht auch auf uns die Wolke des Kummers und der Trübsal.
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