1843 -
Altona
: Schlüter
- Autor: Burgwardt, Heinrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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seiner Brüder und Halbbrüder, des Rums, des Liqueurs, des
Grogs des Punsches, des Thee- und Kaffeepunsches, und wie
sie weiter heißen. Schaut nur um euch! Habt ihr sie denn
mcht gesehen, und könnt ihr sie nicht täglich sehen die Männer
und Frauen, die im kräftigsten Lebensalter nicht wehr angestrengt
arbeiten können, weil ihre Kraft gebrochen ist? Der Brannt-
wein brach sie! Habt ihr sie nicht gesehen, und könnt ihr sie
nicht leider zu oft sehen, die kahlen ausgeleerten Wohnungen,
in denen kaum noch ein Stuhl und ein Tisch und ein Stroh-
lager, ein Topf, aber kein Bett, kein Schrank, kein Sonntags-
rock, keine Bibel, kein Vaterunser, kein Christusbild an der
Wand gesehen wird? Wer hat die Wohnung so leer gemacht?
Das that die Branntweinsflasche. Durch sie ist dieß Alles
hindurch und in die Leihhäuser gegangen. Habt ihr sie nicht
gesehen, und könnt ihr sie nicht leider zu oft sehen, die wankenden
und schwankenden Menschen, denen die Straße nicht breit genug
ist, und hinter welchen die Gaffenbuben herschreien? — Wer
hat sie so herabgewürdigt zu den Thieren, wer hat sie um ihre
Ehre gebracht vor den Menschen? Das hat der Branntwein!
Und wessen sind die schmutzigen, zerlumpten Kinder, mit unge-
kämmten Haaren, vor Hunger eingefallenen todtblassen Wangen?
Ach, es sind die Kinder einer sich oft in Branntwein berauschenden
Mutter, die sie hinausstieß auf die Straße zum Betteln. — Und
wer schaut denn dort so ängstlich hinunter in den Keller, aus
welchem wildes Geschrei herauftönt, und erzittert und erbebt bei
jedem neuen Getobe? Das ist eine liebende Frau. Sie suchet
den ihr noch so theuern Mann, und darf sich doch nicht zu ihm
hineinwagen in das wilde Gelag, damit sie nicht verhöhnt und
weggestoßen werde. Sie steht in dunkler, feuchter Nacht da,
ob sie auch vor Kälte zittert, sie steht da und harrt, ob der
Mann nicht herauskomme, daß sie ihn bitten könne, mit heim
zu kehren, zu den verlassenen Kindern, die sich nach dem lieben
Vater sehnen. — Und wen trägt man da hinab von dem wilden
Tanzsaal? Es sind Verwundete. Als der Branntwein die
Köpfe erhitzte und die Besinnung geraubt hatte, — da wurden
die Messer gezogen und die Flaschen geworfen und Menfchenblut
vergossen. —• Und wen trägt man dort aus dem Keller als
Leiche herauf? Es ist ein sonst achtbarer Bürger, ein sonst
thätiger Handwerker, ein sonst friedlicher Gatte, ein Vater von
vier Kindern. Aber gestern ging er aus einem Wirthshause in
das andere, und als er nun zuletzt in diesen Keller kam, mußte