1843 -
Altona
: Schlüter
- Autor: Burgwardt, Heinrich
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Vorhandene. Über die menschliche Seele, ihre Bestimmung
und Fortdauer gelangten sie ebenfalls zu keiner Klarheit. Phi-
losophie aber, d. h. Liebe zur Weisheit, wurde die Wissenschaft
genannt, welche sich mit der Beantwortung solcher Fragen be-
schäftigte.
In Athen, der herrlichsten Stadt Griechenlands,
war nun etwa 450 Jahre v. Chr. durch Handel und glücklich
geführte Kriege ein außerordentlicher Reichthum, und damit auch
Wohlleben und Schwelgerei herrschend geworden. Da traten
denn falsche, leichtsinnige Männer auf — sie nannten sich So-
phisten ! das soll heißen: Weise! und lehrten: „ Ihr sehet ja,
wie die Philosophie nichts mit Bestimmtheit weiß; sie weiß
nicht, ob Ein Gott sei oder viele Götter oder gar keine; sie weiß
nicht, wozu der Mensch geschaffen ist, ob zur Tugend oder
zum Lebensgenuß, zur Weisheit oder zur Thorheit; ob er nach
diesem Leben fortleben wird oder ewig todt sein. Nur das,
o Mensch, haft du gewiß, was du genossen hast. Drum laß
dein Herz guter Dinge sein; lebe lustig und kümmere dich nicht
um die Zukunft. Nicht der ist der Beste, der am tugendhaf-
testen gelebt, sondern der, welcher das Leben am vollständigsten
genossen hat."
Du erschrickst billig, mein Lieber, über solche Lehren. Aber
das Schlimmste dabei war noch, daß jene Sophisten dieselben
mit so schönen Worten und in so schönen Wendungen vorzubrin-
gen wußten, daß nur ein sehr gebildeter Geist ihnen das Falsche
ihrer Lehre hätte darthun können. Ich will dir doch an einem
Beispiel zeigen, wie listig und scharfsinnig sie oft ihre Sache
darzustellen wußten.
Ein Jüngling ging zu einem Sophisten, um von ihm
Weisheit (?) und Beredtfamkeit zu lernen. Sie wurden einig,
daß das Lehrgeld erst dann von dem Jünglinge zu zahlen sei,
wenn er seinen ersten Proceß vor Gericht gewonnen hätte. Der
Jüngling machte außerordentliche Fortschritte; aber zögerte ftets
damit, eine Rechtssache vor Gericht zu führen. Der Sophist,
dem am Ende doch die Geduld ausging, mahnte seinen Schü-
ler an die Bezahlung der Schuld, und da dieser an die Be-
stimmung ihres Vertrags erinnerte, lud er ihn vor Gericht.
Das eben hatte der nur zu gelehrige Schüler gewollt, und
nun trat er auf und sagte: „ Ich, ihr Richter, bin jetzt auf
keinen Fall das Lehrgeld zu zahlen schuldig. Denn verliere ich
den Proceß, so brauche ich nichts zu bezahlen zufolge der Be-