1863 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Solereder, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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Ländern gedeiht er besser, als bei uns; dort ist er aber auch
stattlicher, munterer und verständiger. Durch seine Kraft und
Ausdauer und durch die Sicherheit seines Trittes ist er ein
sehr nützliches Thier. Er wird besonders in gebirgigen Ge-
genden zum Reiten und zum Träger: schwerer Lasten, häufig
auch zum Ziehen der Wägen gebraucht. Dabei begnügt er
sich mit magerem Futter und verlangt auch nicht die sorgfältige
Pstege, deren das Pferd bedarf. Der Esel ist nicht so dumm,
als man ihn gewöhnlich ausgibt; aber recht eigensinnig ist er.
Die Milch der Eselin ist sehr nahrhaft und zugleich ein
vortreffliches Heilmittel. Das Fleisch wird in manchen Ge-
genden gegessen; aus der Haut wird Pergament bereitet.
74. Der Esel in der Löwenhaut.
Ein Esel, der nicht mehr arbeiten wollte, entlief seinem
Herrn und machte im Walde einen herrlichen Fund. Es war
eine Löwenhaut. „Die kommt mir gerade recht", sagte er,
und wickelte sich so in die Löwenhaut, daß er von Weitem
einem Löwen ähnlich sah. Als die Thiere diesen ungeheuern
Löwen erblickten, fürchteten sie sich sehr und verkrochen sich in
ihre Höhlen. Da wurde der Esel übermüthig und dachte:
„Jetzt will ich ihnen erst recht Angst machen! Wenn ich brülle,
wie ein Löwe, wird sich Niemand mehr in den Wald wagen,
und ich kann dann mein Futter nach Belieben suchen."
Meister Langohr fing nun an, ganz erschrecklich Ja! zu
schreien. — Da lachten die Thiere, kamen aus ihren Höhlen
hervor und verspotteten den dummen Betrüger. — Der Hase
aber lief zum Müller und sagte ihm, wo sein entlaufener
Sackträger sich aufhalte. Der Müller nahm einen Prügel,
eilte in den Wald, ergriff den Esel bei seinen langen Ohren,