1836 -
Stuttgart
: Scheible
- Autor: Hoffmann, Karl Friedrich Vollrath
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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Deutschlands Bilden.
fort. Sobald Sand oder Schutt so auf den Glattscher gebracht wird,
daß seine Berührung mit der Atmosfäre unterbrochen wird, treibt sich d»e
bedeckte Glättschermasse zu einem Kegel auf, der sich wie die Gufferlinie
verhält. Organische Körper verhalten sich gerade entgegengesetzt, und sin-
ken in den Glättscher ein. Es tragen also von der Sonne erwärinte
Sand- und Steintrümmer nicht zum Schmelzen des Glättschers bei, und
senken sich nicht in denselben ein.
Eine Thatsache ist, daß die Glättscher sich um so mehr fächerförmig
ausdehnen, je mehr sie sich im Herabsinken dem Ausgange nähern. Die
große Gufferlinie des Unteraarglättschers kömmt voin Lauteraarhorn.
Anfangs hat sie kaum 20 Fuß Breite, die mit dem Herabsinken so zu-
nimmt, daß sie nach einer Stunde schon 200 Fuß beträgt, und endlich,
am Ausgange, den ganzen Glättscher einnimmt. Bei vielen andern Glätt-
schern, welche auf jeder Seite eine Gufferlinie haben, die dem Rande nä-
her, als der Mitte ist, wird der'schutt nach beiden Seiten über die Rän-
der geschoben, und zu sogenannten Glättscherwällen aufgehäuft, indem
der weiße, freie Mittelstrich des Glättschers sich wie ein Fächer ausbrei-
tet, und den ganzen Glättscher einnimmt. Im Blümlisalpglättscher ist
ein Felsenkamm, von welchem durch zwei Rinne» fortwährend Schutt
auf den Glättfcher stürzt, und der so zwei schöne Gtifferlinien bildet, die im
Herabsteigen des Glättschers sehr breit werden, und zugleich ungemein
auseinander laufen.
Aus dem Angeführten erhellt, daß die Glättscher sich durch innere
Ausdehnung zu Thal senken, und das Schmelzen von unten und der grö-
ßere Neigungswinkel fördernd dabei wirken.
Während einige Glättfcher sich ohne zu Brechen herabsenken, drängen
sich andere über senkrechte Felsen, reißen häufig im Vorrücken in kleinen
Massen los, und gewähren dem entfernten Wanderer interessante Schau-
spiele. Andere halten hier das Mittel, steigen stufenweise über wilde
Klippen herab, und zeigen dem Reisenden das Anstaunenswürdigfte. Denn
oberhalb des Abhanges fangen sie an zu zerreißen, und die Schwere be-
ginnt ihre Herrschaft gu üben. Sobald die Masse auf den Abhang selbst
gelangt, ist jede Regelmäßigkeit der Formen gänzlich verschwunden. Alles
reißt durcheinander, und bietet dein atmosfärischen Einflüsse tausend Zu-
gänge in das Innere und Tiefere des Glättschers. Da, wo einzelne
Steine auf der Masse liegen, wächst diese zu wilden Tburingestalten em-
por, die man oft hundertweife von 20 bis 80 Fuß Höbe sieht. Rings
um diese ist die Masse bis auf den Grund gerissen. Sehr häufig stürzen
solche Thürme mit ihren Steinköpfen ein, und vermehren das Grausige
der Formen. Oft richten sich, mauerähnlich, mit taufend Zacken, ganze
Glättfcherfchichten weit in die Luft auf. Auf diesen emporstrebenden Ge-
stalten sind nicht immer Steintrümmer, und sie scheinen oft der unterir-