1. Bd. 5
- S. 44
1846 -
Braunschweig
: Westermann
- Auflagennummer (WdK): 13
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1812
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): offen für alle
44 Erstes Kap. Geschichte des karolingischen Reiches.
Teutschen, den Herrn der rein teutschen Länder östlich am Rhein, gege-
den. Karl der Kahle endlich bekam Gallien, westlich von jenen Flüssen
bis ans Meer, das eigentliche Frankreich. Nur Aquitanien fiel den
Neffen der Könige, Pipin und Karl, zu, welchen jedoch Karl der Kahle
es bald entriß. Die näheren Bestimmungen in Rücksicht der gegenseitigen
Verhältnisse sind unbekannt. Völlige Trennung war nicht beabsichtigt; man
schien eine Art von Gesammtrccht des Hauses auf das ganze karolin-
gische Erbe anzunehmen; es dauerte die Gemeinschaft des Heerbannes,
demnach die Idee eines gemeinsamen Reiches und Reichshauptes
fort, und noch blieb dem Zufalle überlassen, ob Wiedervereinigung oder blei-
bende Trennung folgen sollte.
Das Lczte ist geschehen, durch Gunst des Schicksals, und so hat der
Verduner-Vertrag unermeßlich wohlthätig für die drei Reiche, zumal aber für
Tcutschland, gewirkt. Ohne ihn hätte die unnatürliche Verbindung geogra-
phisch und genetisch geschiedener Völker noch länger fortdauern, oder eine
noch unnatürlichere Zersplitterung durch rücksichtslose Gewalt und Laune des
Verhängnisses eintreten können. So wie die Völker Italiens, ungeachtet der
geographischen Verbindung, in so viele getrennte Fürstcnthümcr und Gemein-
wesen zerfielen; so wie die slavischen oder wendischen Völker, ungeachtet der
Gemeinschaft des Ursprungs und der Sprache, zu mehreren Reichen sich bil-
deten, zum Theil auch fremden Reichen einverleibt wurden: als hätten auch
die rein-germanischen Hauptvölker, welche der Verduner-Vertrag zu
einer herrlichen, ehrsurchtgebictendcn Nationalmasse sammelte, ohne den-
selben das Loos der Italiener oder Slaven theilen mögen. Indessen ist's
nicht eine weise oder wohlwollende Absicht der Paciscirenden, der wir so
unschäzbarcs Gute zu verdanken haben, sondern vielmehr ihre Schlechtigkeit
oder doch nur eine blinde Macht der natürlichen Verhältnisse und der Zufall,
der dieselben begünstigte und siegreich machte. Der Zufall, daß von Karl's
M. Söhnen nur einer den Vater überlebte, hatte so viele Völker in ein Loos
geworfen. Der Zufall, welcher Ludwig drei Söhne ließ, bewirkte die Thei-
lung der Heerde. Denn nicht aus Anerkenntniß der Persönlichkeit der ein-
zelnen Völker, sondern nach dem Sachenrechte, zur Vcrtheilung der Erbstücke,
wurden die drei Reiche geschieden, und die Herrschsucht der Prinzen — wie
gewöhnlich in der Politik selbst das Gute vom Bösen herkömmt •— hat un-
willkürlich das Nationalwohl begründet.