1. Bd. 6
- S. 12
1846 -
Braunschweig
: Westermann
- Auflagennummer (WdK): 13
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1812
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): offen für alle
12 Viertes Kap. Allgemeinste Gestalt der Welt.
aufkommen, da kein menschliches Gut ohne Freiheit gedeiht. Aber auch
da, wo diese Sonne aufgegangen, hatte sie schwer und wechselvoll, so wie
der Morgenstrahl mit bald weichenden, bald wiederkehrenden Ncbclwolken, also
mit den Ueberresten der Barbarei und den finsteren Schaarcn ihrer Verfechter
zu kämpfen. Unwissenheit, Rohheit der Sitten, barbarische Gewohnheiten
und Vorurtheile, mitunter die eigenen Mißgriffe der Gutgesinnten hielten den
Sieg ihrer Sache auf, machten aber gerade hiedurch Europa zum Schauplaze
des interessantesten, erhebendsten Streites lebendiger Kräfte. In religiösen
Dingen war noch allenthalben der Fortschritt geringer als in bürgerlichen;
denn religiöse Vorurtheile werden durch heiliges Ansehen geschirmt, welches
anzutasten immer gefährlicher und auch den Guten bedenklich ist. Doch war,
von den Wissenschaften und von dem Geiste der bürgerlichen Freiheit aus,
auch auf die Hierarchie schon ein sie blendender und in Verwirrung sezcnder
Schimmer gefallen: man konnte ihren Sturz mit Ueberzeugung voraussagen.
Dieses war die Lage der Welt (d. h. des vorherrschenden Theiles von
Europa: Asien war schon tief gesunken und verlor mehr und mehr an
Bedeutung) am Ende der vorliegenden Periode, die das Mittelalter beschließt.
Noch war es nicht völlig Tag; aber die Morgenröthe war bereits lichtvoll
hereingebrochen. Man sah mit froher Zuversicht dem kommenden schönen
Tage entgegen, als zwei große Begebenheiten — die Entdeckung Ame-
rika's und die Reformation — mächtig in das Rad der Menschenge-
schichte eingriffen, und, was erst nach einer Folge von Geschlechtern zur Reife
gelangen sollte, plözlich, wiewohl mit ungleichen und zweideutigen Zügen,
entwickelten, und schnell eine durchaus veränderte Gestalt der Dinge schufen.
Von dieser gedoppelten Umwälzung fast aller Verhältnisse, von dieser neu ver-
änderen, für alle Folgezeit bestimmenden Richtung des Schicksalstromcs hebt
die neue Geschichte an.
Ii. Summe der politischen Begebenheiten.
§. 4. Die Zeiten von Rudolf von Habsburg bis Albrecht Ii.
Als Rudolf von Habs bürg den seit 23 Jahren fürchterlich wanken-
den , ja wie verwaisten Thron der Teutschen bestieg, hatte die lang ge-
dauerte Fehde zwischen Kirche und Reich aus beiderseitiger Ermattung nachge-
lassen, und kehrte nie mehr mit derselben Heftigkeit wieder. Denn auch der