1. Bd. 6
- S. 105
1846 -
Braunschweig
: Westermann
- Auflagennummer (WdK): 13
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1812
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): offen für alle
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Zweites Kap. Von Frankreich und England.
starb der Connétable Ludwig von Luxemburg, Graf von St. Pol — von
Karl dem Kühnen schändlich ausgeliefert an Ludwig — ; es starben also der Graf
von Perche, Ncnatus von Alençon und der Herzog Jakob von Nemours,
Graf von Armagnac, ein Sprößling des merovingischcn Geschlechtes,
wie man glaubt — neben ihnen viele andere geringeren Standes, mehr als
viertausend an der Zahl, wie die Zeitgenossen versichern; die meisten ohne
regelmäßigen Prozeß, auf das Machtwort des Königs. Unter dem Blutge-
rüste des Vaters mußten die jungen unschuldigen Prinzen von Nemours
stehen, daß das Blut auf sie herabträufelte; alsdann sperrte man sie in die
finstersten Gewölbe der Bastille. So ward der König" allgewaltig durch
Schrecken und es versank die Nation in schweigenden Gehorsam. Wohl
„hat er das Königthum in Frankreich hergestellt," wiejoh. v. Müller
von ihm rühmt, und „freie Hand sich verschafft": aber nur durch Unter-
drückung der Freiheit Aller; er hat den Grund zu dem Baue gelegt, welcher
nachmals Frankreich und Europa mit düstern Schatten deckte.
Ludwig schloß mit den Schweizern Bündniß wider Burgund und
erneuerte solches wiederholt mit der ganzen Eidgenossenschaft und mit einzel-
nen Ständen. Seine Ränke waren es zumal, welche Karl den Kuhnen
in den Krieg wider die Schweizer führten, und sein war der Hauptgewinn
aus diesem Kriege. Aber wir haben diese Verhältnisse und die Streitigkeiten
über Karl's Erbe schon früher in der Geschichte Burgunds, auch in jener
der Schweiz und Teuschlands erzählt.
Durch den Auheimfall mehrerer burgundischen Länder, daun durch
jenen von G ui enne, endlich durch das Erbe von Anjou (Provence und
Forcalquicr), welches Renatus, der sich König von Neapel nannte,
1479 seinem Neffen, Karl, und dieser 1481 dem Könige vermachte — nicht
achtend der Ansprüche des Herzogs Renatus von Lothringen —, dann
durch die Grafschaften Roussillon und Cerdagne, welche ihm der König
von Aragonien pfandweise überließ, durch die Grafschaft Boulogne,
welche er eintauschte, und mehrere andere kleinere Erwerbungen vermehrte
Ludwig daö Krongut und machte es einträglicher durch regelmäßigere Ver-
waltung und erhöhte Steuern. Er starb — nach kläglicher Beängstigung des
Gemüths und vergeblicher Erschöpfung aller Hilfsmittel der Kunst und des
Aberglaubens — auf seinem mit Furcht gehüteten festen Schloß, le Plessis
les Tours (30. Aug. 1483.)