1. Bd. 6
- S. 193
1846 -
Braunschweig
: Westermann
- Auflagennummer (WdK): 13
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1812
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): offen für alle
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Geseze und Sitten.
§. 19. Von dem Vehmgerichte.
Aber das furchtbarste aller Gerichte, zugleich durch seine außerordentliche
Natur und Verfassung höchst merkwürdig, ist jenes der Vehme. Ein dichter
Schleier liegt zwar über dem Ursprünge, der Einrichtung und dem eigentlichen
Lebcnspriuzip dieses schaudervollen Gerichtes. Uber vom dreizehnten Jahr-
hundert bis zur Befestigung des allgemeinen Landfriedens und der geordneten
Reichsgerichte erscheint in unzähligen Beispielen, anfangs nur in Sachsen,
dann aber — zumal vom Ende des 14tcn Jahrhunderts an — in ganz
Teutschland seine vielarmige Wirksamkeit. Möser*) und vor ihm schon
Lodmann**) mit mehreren Anderen leiten den Ursprung der Freigerichte
(also hießen die Vehmstühlc, welche man auch die westp hält sehen von ihrem
Hauptsize Westphalen nennt)***) aus Karl'si^l. Zeit und zwar von den
kaiserlichen Kommissarien ab, welche periodisch die Provinzen durch-
reisten, um über die dem Kaiser vorbehaltencn Verbrechen, zumal auch über
die dem ordentlichen Richter sich entziehenden Verbrecher llrthcil zu sprechen.
Sie thaten Solches, je nach der Natur der Falle, unter Zuziehung einiger
Geschworenen, theils in öffentlichen, theils in geheimen oder Stillgerichten,
überall summarisch, weil ihre Zeit beschränkt war, und streng, nach der
Absicht der Sendung. In diesen und noch anderen Zügen waren freilich die
Vehmgerichte den Stillgcrichten jener Kommissarien ähnlich, und cs mag
der oberste Stuhlherr der Vehme, wofür der Erzbischof von Köln lauge
Zeit galt, als Nachfolger des obersten wissns (welcher sonst der Herzog
von Sachsen gewesen) zu betrachten seyn. Wenigstens übten die Vchm-
stühle ihre Macht im Namen und unter dem Ansehen des Kaisers aus
— wiewohl sein Auge nicht in ihre Geheimnisse drang —, und wurden
allgemein als berechtigt zum Gcrichthalten erkannt, wiewohl viele Stände
vermöge Privilegien oder besonderer Rechtstitel eine Ausnahme zu eigenen
Gunsten ansprachen.
In dem Zeitpunkt ihrer ausgcbrcitctsten Gewalt sollen wohl hundert-
tausend Frcischöppen in Tcutschland gewesen sehn, unter ihnen Glieder der
*) Kurze Nachricht von den wcstphälischcn Freigcrichtcn; in dem Iv. Bande der patrioti-
schen Phantasie».
*•) Dissert. de orig. jud. Vemicorura.
***) Nur auf der „rothen Erde" — so ward in der Bchmsprache Westphalen benannt —
konnten äd)le Freischöppcn gci»ad>t werden,
v. Rotteck, allgcm. Geschichte. Vi.
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