1852 -
Weimar
: Albrecht
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Antike
- Geschlecht (WdK): Jungen
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wölbes auf seine Schultern nehmen, sie läßt ihn sich an Götter wa-
gen und im Uebermuthe und Vertrauen auf seine Kraft selbst die
Unsterblichen nicht schonen. Trotz seiner Heldenkraft war aber He-
rakles als Mensch nicht frei von menschlichen Schwachen und Fehl-
tritten, die er abbüßen mußte. Da er den Jphitus, den Sohn des
Königs Eurytus von Oechalia, im Zorne gelodet hatte, verfiel er
in eine schwere Krankheit, deren Heilung das delphische Orakel ihm
nur dann verhieß, wenn er drei Jahre als Sklave um Lohn diene.
Daher ließ er sich an die Königin Omphale von Lydien verkaufen,
bei der er Wolle spann, in ein Weibergewand sich hüllte und in
Weichlichkeit und Wollust versank. Als Folge eines späteren Ver-
gehens fand er zuletzt einen qualvollen Tod, aber auch den Ucber-
gang zur Unsterblichkeit. Es war seine eigene Gemahlin Deianira,
die, ohne zu wissen was sie that, ihm diesen Tod bereitete. Ihr
hatte einst der Centaur Nessus, als er von Herakles mit einem in
die giftige Galle der lernäischen Hydra getauchten Pfeile getödet
wurde, sterbend von seinem dadurch vergifteten Blute gegeben, als
ein angebliches Mittel, jede fremde Liebe aus des Helden Brust zu
verscheuchen. Als später Herakles Neigung zu der schönen Jvle
faßte, machte Deianira von dem empfangenen Zaubermittel Gebrauch.
Sie schickte dem Herakles ein in das Blut des Nessus getauchtes
Gewand. Kaum hatte der Held sich damit bekleidet, so drang das
in demselben enthaltene Gift in alle Theile des Körpers, und fol-
ternde Schmerzen durchzuckten alle seine Glieder. Ucberzcugt, daß
diese entsetzlichen Qualen nur mit seinem Leben enden würden, ließ
er sich auf den Berg Oeta bringen und dort auf einen Scheiterhau-
fen legen. Lange scheuten sich die Anwesenden den Wunsch des Hel-
den zu erfüllen und den Holzstoß in Brand zu stecken. Endlich that
dies ein Hirt. Alsbald fuhren auch Blitze herab, so daß alles schnell
verzehrt ward. Der Held hatte die Leiden der Menschheit ausge-
duldet, eine Wetterwolke trug ihn zum Olymp empor, wo er unter
die unsterblichen Götter aufgenommen wurde, und die versehnte
Hera ihm ihre ewig blühende Tochter Hebe vermählte.
Das Leben des Herakles ist ein schöner und uralter Mythus,
eine allegorische Darstellung der menschlichen Heldenkraft, die durch
unermüdliches Kämpfen und Ringen den Widerstand, der ihr über-
all entgegentritt, überwindet und nach Abbüßung der menschlichen
Schwächen den Göttern gleich wird. Herakles, der Sohn eines
Gottes und einer sterblichen Mutter, stellt die Menschheit dar, die
sich vermöge ihrer halbgöttlichen Abstammung durch die Mühsale des
Erdenlebens zum Olymp emporzuschwingen vermag. Schon auf Er-
den zeigt der menschliche Held seine göttliche Natur dadurch, daß er
Heil verbreitet, Schaden abwehrt und die Unterdrückten gegen ihre
Bedränger vertheidigt, daher Herakles besonders als Abwender des
Unheils verehrt wurde. Dem Herakles war das höchste Maß mensch-
licher Kraft im Wagen und Ertragen verliehen, und dabei ein so
edles Streben, als es jene Zeit kannte; jedoch war er nicht frei
von menschlichen Fehlern und Schwächen. Jeglichen Frevel büßt er
durch neues Leid, bis er verklärt zum Olymp aufsteigt. Aber nicht nur
den Mythus im Allgemeinen, sondern auch viele von den einzelnen
Thaten hat man allegorisch zu deuten versucht. Die Heraklesfabel