1854 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
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und freundlich in ihrer Mitte. Dann träqt er nicht seine glänzende
Rüstung, sondern einen Mantel und einen breirkrämpigen Hut, an
welchem, wie an seinem einen Auge, ihn Sterbliche oft erkennen.
Er verleiht Weisheit und Dichtkunst, den Schiffern guten Wind,
den Würdigen Reichthum, den Spielern Glück im Spiele und dem
Landmanne günstiges Wetter zu fröhlichem Gedeihen der Saat.
Der kräftigste, gefeiertste Sohn Wuotans ist der über Regen
und Wolken gebietende, sich durch Wetterstrahl und rollenden Don-
ner ankündigende, den Menschen aber freundliche, väterliche Gott
Donar, Thor der skandinavischen Germanen. Wie Wuotan vor-
züglich Gott der Helden und der kriegerischen Begeisterung, so rst
Donar vorzugsweise der Gott des Landmannes und des Ackerbaues.
Zürnend rollt der rothbärtige Gott auf seinem Wagen daher,
deffen Bocksgespann seine Linke lenkt, während er in der Rechten
den allzerschmetternden Hammer schwingt, der nach jedem Wurfe
von selbst wieder in seine Hand zurückkehrt. Auch schleudert er im
Blitze niederfahrende keilförmige Steine, die heilig gehalten wer-
den. Heilig war auch alles, was vom Blitze getroffen wurde.
Wie Wuotan der Gott der Ernte war, so Donar der Gott der
Saat und des Frühlings. Er sendet Gewitter und fruchtbaren Re-
gen und thront am liebsten auf freier Bergeshöhe, wie eine Menge
von Donnersbergen bezeugen. Wie dem Jupiter und Zeus ist auch
Donar die Eiche heilig. Der ihm heilige Wochentag ist der Don-
nerstag.
Ebenfalls ein Sohn Wuotans und einer der hehrsten Götter
ist Zio, der Gott des Kriegs und der Schlacht, dessen Name im
Norden Tyr lautete. Während Wuotan die Geschicke der Schlacht
lenkt, stürzt Zio sich grausam und blutdürstig in dieselbe hinein; ihm
gehört die schreckliche Seite des Krieges, Wuotan die höhere, edle.
Zio's Symbol ist das Kriegsschwert, das bei den Quaden göttliche
Verehrung genoß. Dem Zio ist der Dienstag geweiht. Den Zio
zu ehren wurden Schlachtgesänge angestimmt, vielleicht kriegerische
Tänze, Schwerttänze, gehalten. Als Gott des Krieges wird auch
Sahsnot d. i. der Schwertgenoß genannt, wohl nur ein anderer
Name für Zio.
Der nächste Gott an Macht und Ruhm war Fro, in Skan-
dinavien Freyr genannt. Der Name bedeutet den frohen, froh-
macheuden, beseligenden, wunderschönen, heiligen Herren. Fro ist
der Gott der Liebe und des Friedens, der Ehe und der Fruchtbar-
keit. Er theilt Wuotans schöpferische Eigenschaft, verrichtet jedoch
keine Kriegsthaten. Wuotan war der Gott der sehnenden Liebe,
Fro hingegen der der schöpferischen Liebe; jener weckt das Verlan-
gen, dieser führt die Liebenden zusammen und segnet ihren Bund
durch reiche Nachkommenschaft. Darum wurde er besonders von
Mädchen und Frauen verehrt. Er war auch der Gott der Sonne
und der Fruchtbarkeit, und der Landmann rief ihn als Schützer des
Viehstandes an. Den Wagen des Gottes zog ein Eber, deffen
goldne Borsten die Nacht gleich dem Tage erhellten.
Ein Sohn Allvaters war Paltar, der Baldur des Nordens;
er war der weise und milde Gott, der gerechteste, dem die Men-
schen Gesetz und Recht danken, dabei zugleich der schöne, weiße,