1854 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
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und überwinden; eingedenk des ernsten Wortes: „was hülfe es dem
Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden
an seiner Seele?" Sehnsucht und Entsagung vor allem wurde die
christliche Frömmigkeit durch die Verheißung des Himmels.
Aus der Idee des einen, alles schaffenden und regierenden
Weltgeistcs ging aber auch die Bestimmung des Christenthums zur
Weltreligion hervor. Als Wellreligion kündigte das Christenthum
sich an; es lehrte den Weltgott, den Schöpfer des Himmels und
der Erde; den Vater über alles, was Kinder heißt im Himmel und
auf Erden erkennen und anbeten, wies auf den Weltheiland hin,
öffnete allen die an Christum glauben und seine Gebote halten
würden, einen Himmel.
Das Christenthum ist seiner Natur nach als die Religion
des Geistes, als Stiftung eines Reiches, welches nicht ist von die-
ser Welt, an keine Art von äußerlichen irdischen Formen nothwen-
dig gebunden. Es kann daher unter den verschiedensten Verfassungs-
formen und Einrichtungen, insofern dieselben nichts Unsittliches ent-
halten, friedlichen Eingang finden und sich an dieselben anschließen.
Aber es mußte in Kampf gerathen mit allem ungöttlichem Wesen
in der Menschheit. Darauf weiset jener Ausspruch Christi hin:
„daß er nicht gekommen sei, Frieden zu stiften auf Erden, sondern
das Schwert," das Schwert des Geistes, und die Geschichte hat in
den Wirkungen des Christenthums die Erfüllung dieses göttlichen
Ausspruchs gezeigt.
Da die Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen durch die Die Sitten
Taufe gewöhnlich erst in reiferem Alter erfolgte, und da dieser usdienstä'
Schritt viele Gefahren drohte und manche Entbehrungen auferlegte, Abfassung?»
so kann man annehmen, daß die meisten Christen ihrer Religion Kirche,
mit Ueberzeugung ergeben waren. Einige freilich wurden durch die
Wohlthätigkeit der Christen, andere durch die abergläubische Vor-
stellung von einer magischen Sündenreinigung durch die Taufe zum
Uebertritt angelockt. Im allgemeinen zeugten die Sitten der Chri-
sten für die Trefflichkeit ihres Glaubens. Ihre thätige Bruderliebe,
ihre Sorge für Arme und Kranke, ihr stilles, mäßiges Leben, ihre
gewissenhafte Erfüllung der bürgerlichen Pflichten stellten ihren Wan-
del in starken Gegensatz mit der in jener Zeit tief verderbten Heiden-
welt. Die christliche Religion lehrte die Gleichheit der Herrn und
Knechte vor Gott und wirkte dadurch auf die Abschaffung der Skla-
verei hin. Einzelne Christen legten sich die strengste Enthaltsamkeit
auf, blieben unverheirathet und widmeten sich nur religiösen Be-
trachtungen. Man nannte sie Asceten. Die Lebensansichl der
Asceten artete später bis zu einer verderblichen, finstern Wellverach-
tung aus, welche selbst erlaubte Genüsse verschmähte.
Die Christen kamen häufig zusammen, um sich durch gemein-
schaftliche Andacht im Glauben und zur Erfüllung ihrer Pflichten
zu stärken. Der Gottesdienst war sehr einfach. Es wurde ein
Stück aus der Bibel vorgelesen, der Vorsteher der Gemeinde hielt
eine Ermahnungsrede und dann folgte ein stilles Gebet. Die Feier
des Abendmahls war anfangs mit gemeinschaftlichen Mahlzeiten,
Liebesmahle genannt, verbunden. Versammlungen wurden beson-