1854 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
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lands, dessen Namen die Geschichte hier zu nennen hat, das Kloster
St. Gallen. Die dortige Schule blühte, als die zu Fulda ge-
sunken war, zu Anfang des elften Jahrhunderts. Die Hauptsache
für die gelehrte Thätigkeit war hier wie anderswo nächst der Bi-
bel und den Kirchenvätern die antike, namentlich die lateinische Li-
teratur, und die Uebung in lateinischer Poesie und Prosa. Aber
auch die deutsche Sprache erfreute sich des gelehrten Gebrauchs und
literarischer Pflege, zwar nicht als Gegenstand, doch als Mittel des
Unterrichts. Man bediente sich ihrer zur Erklärung der geistlichen
und weltlichen Schriften, die man in der Schule las und sonst zur
Verdeutlichung des Schulvortrages. Daher ist, was wir aus die-
ser Zeit der St. Galler Mönche haben, lauter Uebersetzungs- und
Erklärungsprosa, abgefaßt für den Schulgebrauch und nur zum klei-
neren Theile auch für anderweitigen Gebrauch bestimmt. Diese
Schriften sind nicht ganz in deutscher Sprache abgefaßt, sondern
entweder wird der wesentlich lateinische Text nur unterbrochen von
der Verdeutschung einzelner Worte oder ganzer Sätze, oder umge-
kehrt der wesentlich deutsche Text unterbrochen von lateinischen Wor-
ten und Sätzen. Wo die deutsche Abfassung überwiegt, da fließt
die Rede leicht und gewandt dahin. Der eifrigste der St. Galler
Uebersetzer war Notker Labeo.
Dem Hofe der Ottone fehlte auch nicht der Schmuck der Poe-
sie und des Gesanges; aber man dichtete da lateinisch. Es ent-
stand an dem gelehrten Hofe die fremdartige Erscheinung einer la-
teinischen Hofdichtung. Das einzige deutsche Gedicht aus die-
ser Zeit, das wir noch kennen, ist nur zur Hälfte deutsch, zur Hälfte
aber, da Vers um Vers die Sprache wechseln, lateinisch. Es ist
ein Leich aus die Versöhnung Otto's I. mit seinem Bruder Hein-
rich im Jahre 941. Zu den lateinischen Hofdichtungen gehört eine
von Hroswitha, einer Nonne im Kloster Gandersheim, in latei-
nischen Versen abgefaßte Lebensgeschichte Otto's I. Dieselbe Nonne
schrieb auch lateinische Komödien, um den Terenz zu verdrängen.
Von den Mönchen wurde die lateinische Poesie mit Liebe und Er-
folg gepflegt und von der lateinischen Klosterdichtung ein-
heimische Sagen, die Thiersage und die Heldensage bearbeitet.
Von der deutschen Dichtung hielt sich Hof und Geistlichkeit
fern. Bisher war sie Sache und Eigenthum des ganzen Volkes
gewesen; nun sank das deutsche Lied, welches die Geistlichen und
die gelehrten Laien am Hofe fallen ließen, mehr in die niederen
Schichten der Gesellschaft hinab, und es begann, von den Vorneh-
men verachtet und den Geistlichen nicht des Aufschreibens werth ge-
halten, die deutsche Volksdichtung. Nur die Bauern sangen
noch deutsch, und wenn an Höfen jetzt noch deutscher Gesang er-
scholl, so verhehlten die vornehmen Herrn ihre Geringschätzung nicht.
Die Gesänge des Volkes waren theils Ueberlieferungen aus früherer
Zeit, Lieder aus dem Schatze der Sagen, theils wurden sie zu
Ruhm oder Schmach der Ereignisse des öffentlichen Lebens gedich-
tet, und ihr Inhalt war die Geschichte des Tages. Das Volk sang
die Geschichts- und Sagenlieder; aber Dichter derselben waren meist
wohl diejenigen, welche auch aus deren Vortrage und dem beglei-