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1. Geschichte des Mittelalters - S. 463

1854 - Weimar : Böhlau
463 zu ihnen. Die Franzosen eigneten sich wohl die Formen der pro- venzalischen Poesie an, sie besaßen aber nicht das warme Gefühl und die glühende Phantasie der provenzalischen Troubadours; in ihren besten Gesängen läßt ein kalter Ton die Nachahmung empfin- den. Der berühmteste lyrische Dichter dieser Zeit ist Thibaut, König von Navarra. Während Romane, Chansons und andere Gedichte in großer Zahl in französischer Sprache verfaßt wurden, bediente man sich doch in der Wissenschaft, auf der Kanzel und im Gerichtssaale der lateinischen Sprache. Man betrachtete die volksthümliche Prosa nur als ein Mittel, sich im Umgänge des Privatlebens verständlich zu machen. Die Entwickelung der französischen Sprache ist aber der der anderen Sprachen lateinischen Ursprungs vorangegangen. Der klare Verstand, die gesellige Gewandtheit und vielleicht auch die Leichtfertigkeit der Franzosen haben sie frühzeitig von dem Uebergewicht befreit, welches ein überliefertes und dem Leben fremdes Wissen in der Bildung aller anderen neueren Völker lange behauptet hat. Wilhelm der Eroberer drang die französische Sprache den Rechtsgelehrten und selbst der Geistlichkeit Englands auf, und im 13. Jahrhundert sprach man sie an allen Höfen. Die französische Prosa stand bereits im 13. Jahrhundert unter dem Ein- flüsse des Lebens und nicht der Schule. Die ersten französischen Prosaiker, die einen ehrenvollen Platz in der Literatur behaupten, sind nicht in Klöster eingeschlossene Gelehrte, es sind Ritter und Staatsmänner, welche schreiben was sie während eines bewegten Lebens gesehen, gefühlt und gethan haben. Die ersten Meisterwerke der französischen Prosa sind Memoiren, d. h. historische Erzäh- lungen, welche die Ereignisse so darstellen, wie der Verfasser sie gesehen hat, ohne auf gelehrte Genauigkeit Anspruch zu machen. Zwei Werke dieser Art aus dem 13. Jahrhundert geben uns ein treueres Bild von dem Leben der Zeit als alle lateinischen Chroni- ken. Das erste dieser Werke ist die Chronik von der Eroberung von Constantinopel von Geoffrey de Villehardouin, das andere die Geschichte Ludwig's Ix. von des» Lire de Jomville. Bei dem allgemeinen Aufschwung erhob sich auch der deutsche Adel zu feinerer Sitten- und Geistesbildung. Während im 11. Jahrhundert deutscher Gesang nur unterm niederen Volke, in den Klöstern nur deutsche Prosa und lateinische Dichtung und selbst am Hofe nur letztere zu finden war, ließ sich im 12. Jahrhundert an den Höfen und in Klöstern deutsche Dichtung vernehmen. Die Geistlichkeit nahm einen größeren, der Adel einen neuen Antheil an der deutschen Literatur. Die Vorliebe für den Reim bewirkte die Ausbildung desselben zur Form der Poesie und das Zurücktreten der Prosa. Zu dem bisher allein üblichen Singen kam nun auch ein davon verschiedenes Sagen, ein bloßes Lesen der Gedichte. Die Geistlichen trugen einander und den Laien Stoffe der ihnen zunächst angemessenen Gattung vor, religiös und sittlich belehrende und ge- lehrt erzählende nach lateinischen Duellen, bis sie und noch mehr die Ritter nach französischen Epopöen griffen und diese in deutscher Sprache nachahmten. Es waren das keine Lieder mehr, sondern Die deutsche Literatur.
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