1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Reichsstädte.
Bettlern. Die Zahl der begangenen Verbrechen war erstaunlich groß.
Neunhundert Jesuiten hielten sich in Baiern auf und hatten Schulen,
Hof und Volk in ihrer Gewalt. Die Schulen befanden sich im trau-
rigsten Zustande, und auf der Landesuniversität Ingolstadt herrschten
Aberglaube, Unwissenheit und das unsittlichste Schlemmerleben. Zwar
zeigte sich auch in Baiern das Verlangen nach einer neuen und besseren
Ordnung, aber die Geistlichkeit und der Adel waren zu mächtig und
verhinderten in Verbindung mit den verknöcherten Juristen, daß das
Licht der neuen Zeit auch Baiern erleuchtete. Der Kurfürst Maximi-
lian Joseph (1745— 1777) hatte die besten Absichten, aber er und
seine Räthe suchten überall durch bloße Verordnungen zu beffern und
mischten sich in alles. Man beachtete nicht die Natur des Landes und
den Charakter der Bewohner und suchte Fremdartiges und Fernliegendes
zu erzwingen, statt das den Verhältnissen Angemessene zu pflegen. Man
suchte die Fabrikation von Luxus-Waren zu Stande zu bringen und
die Seidenzucht einzuführen, während es dem Lande noch an den nö-
thigsten Handwerkern fehlte. Man bemühte sich dem Landbau durch
allerlei Maßregeln aufzuhelfen und ließ die strengen Jagdgesetze bestehen,
welche das zahlreiche Wild schützten. Man wollte den häufigen Ver-
brechen Einhalt thun, aber daß von Kceitmayer, einem um die Ver-
waltung verdienten Juristen, verfaßte Kriminal-Gesetzbuch vermehrte
durch seine Strenge, durch Folter und Hinrichrungen die Zahl der Ver-
brechen.
Die geistlichen Fürsten suchten es an Prunk den weltlichen
Höfen gleich zu thun. An ihren Tafeln wurde sehr gut gegessen und
sehr viel getrunken. Der Erzbischof Joseph Clemens von Köln hatte
anderthalbhundert Kammerherrn. Der Graf von Schönborn, welcher
um 1731 Bischof von Wüczburg war, hatte in Würzburg und in Bam-
berg einen vollständigen Hofstaat und an letzterem Orte wenigstens drei-
ßig Kammerherrn. Sein Minister konnte zehn Maß Burgunder an einem
Tage trinken.
Daß Verhältniß der Reichsstädte zum Reich hatte sich nicht ver-
ändert; in ihnen war alles fest und starr geworden, ohne Möglichkeit
der Weitecentwickelung. Aus dem Reichstage thaten sich die Städte mehr
hervor durch die kleinliche und argwöhnische Vertretung ihrer particula-
ristischen Stellung, als durch Bereitwilligkeit, auch nur das kleinste
Opfer zum Wohle des Reiches, etwa zur Vertheidigung desselben gegen
die Franzosen, freiwillig zu bringen. Im Innern der Reichsstädte be-
wirkte die streng abgeschlossene aristokratische Regierung für alle nicht
regierenden denselben starren Zwang wie in den fürstlichen Territorien.
Daß Verhältniß der städtischen Unterthanen gestaltete sich meist noch
schlimmer, weil Verwaltung und Rechtspflege noch nach altem Zuschnitte
geübt wurden, und die regierende Körperschaft jeder Verbesserung wider-
stand. Der ganze Staat erschien als eine bloße Versorgungsanstalt für
die politisch berechtigte Körperschaft, und die in diesem Sinne geleitete
Verwaltung hatte es auch so weit gebracht, daß die reichen Einkünfte
vieler Reichsstädte nicht mehr zur Bestreitung des Staatshaushaltes hin-
reichten.