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1. Geschichte der neueren und neuesten Zeit - S. 458

1858 - Weimar : Böhlau
458 deutschen Literatur, die er nach erlebte, sah er nur von fern zu, ohne deren Bedeutsamkeit zu begreifen. Klopstock starb 1803. Klopstock war durch so reiche Gaben ausgezeichnet, daß die besten seiner Zeitgenossen ihn als ihr Ideal begrüßten, seine Überlegenheit willig und unbedingt anerkannten und ihm mit Freudigkeit huldigten. Er war der Morgenstern, der nach langer Nacht den Tag heraufführte. Klopstock war neu, groß und schöpferisch in der Form, aber noch größer und schöpferischer im Stoffe. An ihm haben die Geister seiner Zeit sich entzündet und gebildet. Mit ihm beginnt ein neues Jahrhundert der Dichtkunst. Seit dem dreißigjährigen Krieg war die deutsche Poesie im- mer undeutscher, abhängiger und niedriger geworden. Da trat Klopstock nuf, und durch ihn erlangte die deutsche Poesie wieder ihre Selbständig- keit. Denn Klopstock war seinem innersten Wesen nach deutsch, deutsch an Ernst und Tiefe, deutsch in Familiensinn und Vaterlandsliebe, deutsch in Einfachheit nnb Wahrheit, deutsch in der Stärke des Naturgefühlß und der elegischen Sümmung. Durch seine wahrhaft deutsche Gesin- nung erweckte Klopstock zuerst wieder ein regeres und allgemeineres In- teresse an der deutschen Geschichte und dem deutschen Alterthum. Ein zweites Element in Klopsiocks Gemüth und Poesie ist sein christlich-gläubiges Gefühl. Seit den Zeiten der Reformation hatte sich das christliche Gefühl, außer in dem protestantischen Kirchen- liede, in seiner vollen Wahrheit und Innigkeit nicht wieder laut aus- gesprochen. Das Christenthum war auch in dik evangelischen Kirche zur Gelehrsamkeit, zur todten Formel geworden. Da ließ Klopstock der unsterblichen Seele Gesang erschallen von des sündigen Menschen Erlö- sung; kühn und frei, in der vollsten Stärke glaubensvoller Ueberzeugung sang er von dem Erlöser, den er als seinen Erlöser mit vollster Innig- keit einer liebenden, begeisterten Seele umfaßt hielt. In Klopstock lebte eine wahrhafte, echt dichterische, belebende und entzündende christliche Begeisterung. Mit der tiefsten religiösen Gemüthsstimmung und der innigsten Liebe zum deutschen Vaterlande vereinigte Klopstock einen fast leidenschaftlichen Sinn für die Freundschaft, eine innige Hingebung seines Wesens an die Besten seiner Zeit, ein zartes Sehnen nach gleichgestimmten Ge- müthern. Diese Richtung seines Geistes steigerte sich bis zu einer ge- wissen Weichheit, bis zu einem starken Vorwiegen des Gefühls, zu einem Schwimmen in Empfindungen, die keine Worte finden können, zu einer lyrischen Ueberschwenglichkeit, bei welcher die elegische Stimmung zur weinerlichen wird. Es war diese Weichheit des Gemüths nicht eine Eigenthümlichkeit Klopsiocks, sondern seiner Zeit. Es erfolgte in dieser eine Reaktion gegen die verkünstelte, in hohle Förmlichkeiten erstarrte, in herzlosem Ceremoniell vertrocknete Gesellschaftswelt am Ende des 17. und im Anfange des 18. Jahrhunderts. Man suchte sich loszuwinden von den steifen, drückenden Fesseln der Convenienzwelt und sich mensch- lich an ein menschliches Herz anzuschließen, an einen Freund, der ohne Perücke, galonierten Rock und Stoßdegen sich warm und herzlich um- fassen ließ. Das Leben Klopsiocks und seiner Freunde war voll steter Rührung und fast unaufhörlichen Thränenreizes, und so sind auch Klop- stocks Helden und Heldinnen voll Rührung und Thränen. Dieses weiche Gefühlsleben wurde zu einer in lauter Idealen schwebenden socialen
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