1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Das König
reich beider
Sicilien.
Die Nobili, welche Morea verwalteten, übten aber einen solchen
Druck aus, daß die Griechen auf die Rückkehr des türkischen Joches
wie auf ihre Befreiung hofften. So geschah es, daß die Türken, als
sie 1714 der Republik den Krieg erklärten und gleichzeitig in Morea
eindrangen, das Land innerhalb weniger Monate mit Hülfe der Griechen
eroberten und den Besitz von Morea im Frieden zu Passarowitz
(1718) behaupteten.
Neapel, Mailand, Sardinien, Mantua und die toskani-
schen Seehäfen an der westlichen Küste waren durch den Frieden
zu Rastatt (1714) von Philipp V. von Spanien an den Kaiser Karl Vi.
abgetreten worden; die Insel Sicilien hatte im Frieden zu Utrecht
(1713) Victor Amadeus von Savoyen als ein Königreich erhalten
(S. 366). In Folge eines Angriffs der Spanier auf Sardinien und
durch die Uebereinkunft der Ouadrupelallianz (S. 399) kam Sicilien
an Oestreich, Sardinien an Savoyen. In Folge des Krieges um die
polnische Thronfolge wurden 1736 die Königreiche Neapel und Sici-
lien von dem Kaiser Karl Vi. an den spanischen Prinzen Don Carlos
abgetreten. Don Carlos regierte über Neapel und Sicilien von 1736
bis 1759, wo er auf den spanischen Thron gelangte. Die Regierung
des Don Carlos war wohlthätig für diese Länder. Der Minister,
welchen der König an die Spitze der Geschäfte gestellt hatte, Marquis
Tanueci, vorher Professor der Rechte an der Universität zu Pisa, hul-
digte mit Vorsicht und Mäßigung den Grundsätzen der Staatsweisheit,
welche das Jahrhundert beherrschte. Als Karl 1759 seinem Bruder
Ferdinand Vi. auf dem Throne von Spanien folgte, überließ er die
Krone beider Sicilien seinem dritten Sohne Ferdinand Iv. (1759
bis 1825), da er den ältesten, den nachmaligen König Karl Iv., als
Kronprinzen von Spanien mit sich nahm, und der zweite wegen Geistes-
schwäche für unfähig zum Regieren erklärt werden mußte. Ferdinand
war erst acht Jahre alt, und die Regentschaft, deren Seele Tanucci
war, stand unter dem Einflüsse des vorigen Königs. Der Geist der
Staatsverwaltung blieb daher derselbe. Ein großer Fehler war es, daß
man den jungen Fürsten ohne geistige Bildung und ohne alle für seinen
Berus erforderliche Kenntnisse aufwachsen ließ. Als die Jesuiten aus
Spanien vertrieben worden waren, geschah bald nachher dasselbe auch
in Neapel und Sicilien.
In seinem achtzehnten Jahre wurde der König mit Maria Karo-
line, einer Tochter Maria Theresia's, vermählt. Mit dieser Verbindung
verschwand vor dem Einflüsse Oestreichs und Englands der Einfluß
Spaniens auf das Königreich beider Sicilien. Tanucci, welcher sich verge-
bens bemühte, dem Uebergewichte der Königin die Wage zu halten, wurde
entlassen, und bald gewann ein Engländer, Acton, das uneingeschränkte
Vertrauernder Königin. Acton bekam nach und nach die ganze Leitring
des Staates in seine Hände. Sein Regiment war, nach dem Sinne
der Königin, in der äußeren Politik unfreundlich gegen Spanien und
Frankreich, in der inneren Verwaltung neuerungssüchtig im Geiste Jo-
sephs Ii., ohne dessen Einsicht und kraftvollen Willen. Die unternom-
menen Reformen brachten keine Früchte, erregten aber den Haß des
Volkes gegen die Königin.