1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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zes Wesen hatte mehr Männliches als Weibliches; sie verachtete
Weiberputz und weibliche Beschäftigungen, trug gern Mannskleider,
war am liebsten in männlicher Gesellschaft und spornte, wie eine Ama-
zone, den schnaubenden Renner durch den Wald. Rastlos thätig glich
sie einem Geschäftsmanne und arbeitsamen Gelehrten. Entbehrungen,
Beschwerden und Gefahren verachtete sie; Weichlichkeit schien ihr ein
Laster. Sie war von kleiner Gestalt und trug eine Schulter etwas
höher als die andere. Ihre Unterhaltung war lebhaft und geistreich,
und eine gewisse natürliche Gutmüthigkeit machte ihren Umgang höchst
angenehm. Es mangelten ihr aber Ruhe und besonnene Kraft; von
maßlosem Ehrgeiz getrieben, gerieth sie in vielfache Uebertreibungen, wurde
eigensinnig und jähzornig.
Schon im sechzehnten Jahre wurde sie von Oxenstierna in die
Sitzungen des Reichsrathes eingeführt. Nachdem sie 1644 die Regie-
rung übernommen hatte, betrieb sie mit dem größten Eifer die Staats-
geschäste. Niemals versäumte sie eine Sitzung des Reichsrathes, stets
verschaffte sie sich vorher die genaueste Kenntniß von den Gegenständen,
welche zum Vortrag kommen sollten, und gab am Schlüsse der Vor-
träge ihr selbständiges, unbestochenes Urtheil. Mit den Gesandten frem-
der Mächte verhandelte sie ohne Mittelsperson.
Die Einkünfte des schwedischen Reiches waren der Größe deffelben
nicht angemessen. Bei der Verschiedenheit der Provinzen war es schwer,
allgemeine Steuern einzuführen, und der Adel war nicht zur Zahlung
von Abgaben zu bewegen. Die Einkünfte genügten nicht, um ein ste-
hendes Heer und einen glänzend eingerichteten Hof zu halten und die
Anforderungen eines verschwenderischen Adels zu befriedigen. Die Do-
mänen oder Kcongüter waren die Hauptquelle der Staatseinkünfte. Ge-
rade diese Quelle aber versiegte durch die großartige königliche Manier,
mit welcher Christine die Krongüter an ihren Hofadel verschenkte. Die
Verschwendung und schlechte Haushaltung der Königin überstieg allen
Glauben. Sie verschenkte ein Krongut nach dem andern, und alle ihre
Günstlinge lebten im Ueberflusse, während sie selbst nicht nur oft Mo-
nate lang ihre Dienerschaft nicht zu bezahlen vermochte, sondern auch
ihr Silbergeschirr versetzen und bei ihren Günstlingen borgen mußte.
Christine setzte sich durch eigenhändige Briefe mit den vorzüglichsten
Gelehrten des Arislandes in Verbindung und lud sie ein nach Schwe-
den zu kommen. Es kamen an ihren Hof Claudius Saumaise,
ein Mann von außerordentlicher antiquarischer Gelehrsamkeit, die Philo-
logen Freinsheim, Isaak Vossius, Meibom und Nikolaus
Heinsius, der Sohn des berühmten Daniel Heinsius, Hermann
Conring aus Helmstädt, eben so berühmt als Arzt wie als Rechts-
gelehrter, Johann Loccenius aus Holstein, ein ausgezeichnerer Ju-
rist und Historiker, und der französische Arzt Räude. Der ehrwürdige
des Car tes starb in Stockholm, und Gassen di schickte Christinen
seine mathematischen Werke. Christine sammelte mit großem Aufwand
Bücher, Gemälde und Antiken. Ihre Freigebigkeit gegen die Fremden,
die sie mit großen Summen belohnte, und die Feste, welche sie rm
schlechten Geschmack ihrer Zeit kostbarer und häufiger als je zuvor an-
stellen ließ, vermehrten die ohnehin schon große Finanznoth des armen
Staates. Die Klagen hierüber verletzten die Königin; noch unangeneh-