1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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dem Adel und 300 aus der Geistlichkeit berufen, am 27. April 1789 in Ver-
failles zu erscheinen. Necker versäumte es, der Regierung den nöthigen Einfluß
aus die Wahlen zu verschaffen, und überließ dieselben den Gegnern des Hofes
und den Feinden des Thrones. Bei dem Mangel angemeffener Beschrän-
kungen der Wählbarkeit wurden zu Abgeordneten des dritten Standes eine
Menge Menschen ohne Vermögen, besonders Advokaten, gewählt, die
mehr zu gewinnen als zu verlieren hatten. Aber der größte Mißgriff
des Ministers bestand darin, daß er den König weder die Form der
Versammlung, noch die Grenzen ihrer Befugnisse vorher bestimmen ließ,
so lange dies noch vom Könige abhängig war. Ueber die Macht der
Versammlung herrschten so dunkle Vorstellungen, daß man meinte, die
ganze Staatsgewalt sei in ihre Hand gelegt. Indem Necker der Ver-
sammlung selbst die Entscheidung über ihre Form überließ, legte er gleich
in die Vorhalle derselben einen Stein des Anstoßes und der Zwietracht.
Er sprach viel von Einführung der englischen Verfaffung, übersah aber
die beständige Theilnahme der englischen Minister an den Verhandlungen
des Parlaments und das durch sie für die Krone ausgeübte Recht der
Gesetzesvorschläge. Weder sich noch seinen Amtsgenossen verschaffte
Necker einen Platz in der Versammlung, um in derselben die Rechte des
Königs zu vertreten.
Zu Anfange des Mai's waren die Abgeordneten in Versailles ver-
sammelt. Der Adel erschien in schwarzsammtnen, mit Goldstoff gefüt-
terten Mänteln und trug Hüte mit hohen Federn; den Deputirten des
dritten Standes waren einfache schwarze Mäntel und Hüte ohne Federn
vorgeschrieben; der Adel und die Geistlichkeit wurden zur Vorstellung bei
dem Könige durch beide geöffnete Flügelthüren eines Prunksaales ge-
führt; dem dritten Stand öffnete sich nach langem Harren im Vorsaale
nur eine halbe Flügelthür zu einem gewöhnlichen Zimmer des Königs,
durch welches die Abgeordneten schnell durchziehen mußten. Diese klein-
lichen Berechnungen zeigten eine Verkennung der herrschenden Stimmung
und verfehlten ihren Zweck, da der Adel die Auszeichnung als ein
Recht betrachtete, der dritte Stand durch die Zurücksetzung sich scbwer
gekränkt fühlte.
Im langen Zuge begaben sich am 4. Mai die Abgeordneten zur
Anhörung einer Messe in die Kirche, und am folgenden Tage wurde
die Versammlung feierlich eröffnet. Die Deputirten saßen nach den drei
Ständen abgetheilt vor dem Throne, und den Glanz des anwesenden
Hofes verdunkelte der Ehrfurcht gebietende Anblick, den die zahlreichen,
seit 175 Jahren zum ersten Male wieder berufenen Stellvertreter
der Nation gewährten. Viele Vornehme, besonders Frauen, wurden
von bangen Ahnungen ergriffen; die Königin sah sehr bewegt aus; nur
der König zeigte seine gewöhnliche Ruhe und sprach in einer vom
Throne gehaltenen Rede, in einem würdigen Tone gute Hoffnungen
aus, ohne die bedenkliche Lage des Staates zu verschweigen. Die Rede
des Königs wurde mit Beifall angehört; dagegen mißfiel Neckers drei-
stündiger ermüdender Vortrag. Der Minister wollte plötzlich die Thätig,
keit der Versammlung auf die Finanzhülfe beschränken; er verlangte
Gehorsam für die Befehle des Königs, zählte die Mittel her, durch
welche der König sich hätte helfen können, ohne die Stände zu berufen,
und schilderte die Vorrechte des Adels von ihrer rechtlichen Seite. Necker