1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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im Tempel ein. Die Tröstungen der Religion stärkten Ludwig wieder,
und er genoß die ganze Nacht einen ruhigen Schlaf.
Am Morgen des 21. Januar (1793) stand Ludwig um fünf Uhr
auf. Er übergab Edgeworth, der nicht von ihm gewichen war, sein
Testament, beichtete, empfing knieend, während grobe Geschütze durch
die Straße rasselten, das heilige Abendmahl und den Segen. Um neun
Uhr erschien Sanier re, von Municipalen und Gensdarmen begleitet.
Mit Edgeworth und zwei Gensdarmen bestieg der König eine Lohnkutsche
und betete seinem Beichtvater auf dem einstündigen Todeszuge die vor-
gesprochenen Psalmen nach. Langsam fuhr der Wagen durch die mit
Truppen und Geschützen und einer dichtgedrängten Volksmenge bedeckten
Straßen. Auf dem R ev o lu tio ns pl a tze, den Tuilerien gegenüber,
am Fußgestelle der zertrümmerten Bildsäule Ludwigs Xv., war das
Blutgerüste aufgeschlagen. Die Miene des Königs war bisher ernst,
aber ruhig gewesen. Aber als der Henker und dessen Gehülfen ihn an
der Treppe des Gerüstes empfingen und ihn des Rockes entkleideten,
schien er erschüttert. Da sagte Edgeworth zu „Sohn des heiligen
Ludwig, steige gen Himmel," und festen Schrittes ging Ludwig die
Stufen hinauf. Oben angelangt, betrachtete ec die Volksmasse und
warf einen Blick auf die Tuilerien hinüber. Als ihn die Henker ergrif-
fen, um ihm das Sünderkleid anzulegen, die Haare abzuschneiden und
die Hände auf den Rücken zu binden, wollte ec das letztere nicht ge-
schehen lassen, fügte sich aber, als der Priester sagte, daß ec durch daß
Binden dem Heilande ähnlicher werde. Dann trat er an den Rand des
Gerüstes, winkte der Kriegsmusik Schweigen und sprach mit lauter
Stimme: „Franzosen, ich sterbe unschuldig, ich vergebe meinen Feinden,
wünsche, daß mein Tod" — Trommelwirbel auf Santerre s Befehl, der die
Rührung des Volkes bemerkte, übertönten die letzten Worte. Daß Haupt
fiel unter dem Fallbeil, und als es der Nachcichter emporhob, ertönte
daß Geschrei: „Es lebe die Nation, es lebe die Freiheit!" Gleich nach
der Hinrichtung tanzte der Pöbel um das Blutgerüste. Am Abend wa-
ren die Schauspielhäuser gedrängt voll, und nach drei Tagen sprach
man in Paris nicht mehr von der schrecklichen That. Die königliche
Familie saß um ein Psalmbuch; daß Freudengeheul der Rotten verkün-
dete ihr, daß das Haupt ihres Vaters gefallen sei. Marie Antoinette
stürzte auf die Kniee und sprach ein Gebet.
Im Anfange der französischen Revolution war die englische Verfas-
sung als Muster und Vorbild gepriesen worden, und die Männer der
Bewegung hatten auf die Freundschaft Englands gerechnet. Diese
Achtungsbezeigungen wurden von vielen neuerungssüchtigen Engländern
erwiedert. In vielen englischen Städten bildeten sich Volksgesell--
schaften oder Whigklubs, welche die Begebenheiten in Frank-
reich durch Gelage, Reden und Trinksprüche verherrlichten. Vornehm-
lich ergossen sich die beiden großen Oppositionsredner Fox und Sheri-
dan in begeisterten Lobpreisungen der Revolution. Desto größeres Ec-
staunen erregte es, daß Burke, welcher der amerikanischen Revolution
mit Begeisterung daß Wort geredet hatte, von seinen bisherigen Freunden
und Meinungsgenossen abwich und im Parlamente mit den heftigsten
Erklärungen gegen die neufranzösische Freiheit und deren unbesonnene
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Das Verhal-
ten Englands
und Spaniens
zur französi-
schen Revo-
lution.