1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Napoleon, daß es bei der gegenwärtigen Lage Europa's nothwendig sei,
die spanischen Provinzen zwischen den Pyrenäen und dem Ebro mit
Frankreich zu vereinigen, und daß der König von Spanien durch Ueber-
lassung von Portugal entschädigt werden solle. Napoleon wünschte Ver-
weigerung, um dann Gewalt brauchen zu können, den König Kart zu
entthronen; aber die unterwürfige Antwort des spanischen Kabinets nö-
thigte ihn, einen anderen Weg zu seinem Ziele zu suchen. Die französi-
schen Heere rückten unter dem Oberbefehl von Murat, des Großher-
zogs von Berg, langsam gegen Madrid vor. Da gerieth der Friedens-
fürst und die Königin in solche Bestürzung, daß sie sich in Spanien nicht
mehr sicher hielten und nach dem Beispiele des portugiesischen Regenten
den Hof nach Amerika zu versetzen beschlossen. Aber der König folgte
zum ersten Mal anderen Rathschlägen als denen Godoy's und erklärte
die Ankunft der Franzosen abwarten zu wollen. Die bereits getroffenen
Anstalten zur Abreise brachten die längst vorhandene Gährung zum Aus-
bruch. Der Pöbel drang in den Palast deß Friedensfürsten und würde
diesen getödtet haben, wenn dieser sich nicht versteckt hätte. Als am
folgenden Tage der Friedensfürst aufgefunden und vom Pöbel mißhan-
delt wurde, eilte auf Bitten der Königin der Prinz Ferdinand mit eini-
gen Leibwächtern herbei und entzog Godoy den Steinwürfen und Degen-
stichen des Volkes durch den Zuruf: „Man solle den Verbrecher leben
lasten, um ihn nicht der Gerechtigkeit zu entziehen." Godoy wurde
zwischen den Pferden der Leibwächter in eine Kaserne gebracht und als-
bald von' einem Richter über seine Staatsverwaltung verhört. Der Kö-
nig war über die Verhaftung des Günstlings und bei der Vorstellung
außer sich, daß er nun ohne den Friedensfürsten regieren solle. Noch
an demselben Tage, am 19. März 1808, ließ er eine Urkunde ausferti-
gen und bekannt machen, durch welche er zu Gunsten seines Sohnes
der Krone entsagte. Bei dieser Nachricht ging die Volkswuth in den
lebhaftesten Freudentaumel über.
Murat rückte am 23. März an der Spitze einer französischen Hee-
resabtheilung in Madrid ein, während die übrigen Truppen auf den An-
höhen um die Stadt eine drohende Stellung einnahmen. Die Aengst-
lichkeit, welche die Anwesenheit der französischen Truppen in den Be-
wohnern von Madrid erregte, verhinderte nicht, daß am folgenden Tage
der sunge Monarch unter dem Jubel des Volkes seinen Einzug in Ma-
drid hielt. Murat erwiederte die Artigkeiten Ferdinands nicht, indem er
erklärte, daß er, ohne die Meinung des Kaisers bestimmt zu wissen, die
Anerkennung des Königs Ferdinand nicht aussprechen könne. Murat
stellte sich aber, als ob er jeden Augenblick die gewünschte Anweisung
erwarte, und theilte Ferdinand mit, daß der Kaiser nächstens nach Spa-
nien kommen werde. Ferdinand glaubte des Kaisers ganz sicher zu sein,
theilte diesem in einem herzlichen Briefe alles Vorgefallene mit, bewarb
sich nochmals um die Hand von Napoleons Nichte und ordnete die Fest-
lichkeiten zum Empfange des Kaisers an.
Indessen hatte die Königin ihren schwachen Gemahl bewogen, am
21. März eine Protestarion gegen seine Thronentsagung zu unterzeichnen,
und ihre Tochter, die Königin von Etrurien, bar Murat, ihren Eltern
gegen ihren Bruder Hülfe zu leisten. Am 23. März sandte Karl jene
Protestation an Napoleon, indem er erklärte, daß er sein Schicksal, wie