1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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das der Königin und deß Friedensfürsten, der Entscheidung desselben
überlasse. Durch Ränke und Vorspiegelungen gelang es dem französi-
schen General Savary, Ferdinand zu dem Entschlüsse zu bringen, dem
Kaiser entgegenzureisen. Durch eine einzige Unterredung mit Napoleon,
sagte Savary, werde Ferdinand alles zu seinem Vortheil entscheiden
können. Das Volk in Madrid betrachtete die Abreise des jungen Mo-
narchen als einen Trauertag, und auch die Bewohner der Provinzen,
durch welche die Reise ging, legten vielfach ihre Besorgniß über seinen
unbegreiflichen Entschluß, sich vor Napoleons Richterstuhl zu stellen, an
den Tag. Aber alle Vorstellungen blieben fruchtlos gegen das unerschüt-
terliche Vertrauen, welches Ferdinands Rathgeber in Napoleons gün-
stige Gesinnungen gesetzt hatten. Sie bestimmten ihren Gebieter, als
Napoleon weder in Burgos noch in Vittoria eingetroffen war, über die
Grenze seines Reiches nach Bayonn'e zu reisen. Bald nach Ferdinands
Ankunft in Bayonne stellte sich Savary bei ihm ein, um ihm im Namen
Napoleons anzuzeigen, daß die Dynastie der Bourbons nicht länger in
Spanien regiere; daß sie durch die Napoleonische ersetzt werden solle,
und daß Ferdinand zu Gunsten der letzteren für sich und seine Brüder
allen seinen Rechten auf die spanische Krone entsagen müsse. Sowohl
Ferdinand als auch dessen Minister Cevallos weigerten sich, in die
Abtretung Spaniens zu willigen.
Bald kam aber auch der Friedensfürst und dann auch das alte
Königspaar in Bayonne an. Godoy bot ohne Weigerung Napoleons
Plänen die Hand; Marie Luise folgte den Befehlen ihres Günstlings;
Karl Iv. war zu keiner anderen Willensäußerung als der ihm vorge-
schriebenen fähig. Am 5. Mai schloß der Friedensfürst im Namen und
Auftrag des Königs einen Vertrag ab, durch welchen Karl alle seine
Rechte auf die Krone von Spanien und Indien an Napoleon
abtrat, unter der Bedingung, daß das Königreich selbständig und un-
getrennt bleiben, und die katholische Religion die einzige in demselben
geltende sein sollte. Zu seinem Aufenthalte wurde dem König der Pa-
last von Com pi eg ne, zu seinem Unterhalte die Summe von dreißig
Millionen Realen, über drei Millionen Thaler, zugesichert. Einige Tage
später schloß Napoleon auch mit Ferdinand einen Vertrag, durch welche«
Ferdinand ebenfalls auf die Krone von Spanien und Indien verzich-
tete, und ihm Navarra, eine bedeutende Domäne in der Normandie,
und eine jährliche Rente von 800,000 Franken zugesagt wurde. Ferdi-
nand erhielt jedoch die ihm zugesicherte Domäne nicht, sondern wurde
mit seinem Oheim Don Antonio und seinem Bruder Don Carlos in
Valenyay, einem schönen, dem Fürsten Talleyrand gehörigem Landsitze,
festgehalten.
D» Krieg In Napoleon hatte den Charakter der Spanier ganz verkannt. Die
Ackerbauer und Landbewohner, der zahlreichste Theil der Bevölke-
rung, waren weder mit unmittelbaren Steuern, noch mit außerordent-
lichen Truppenaushebungen belastet, sie hatten von den Veränderungen
des Jahrhunderts nichts erfahren und glaubten in ihrer Abgeschiedenheit,
daß Spanien noch immer das erste und mächtigste Reich der Erde sei.
Erst der Einmarsch der Franzosen weckte sie aus ihrem Traume, und ihr
Erstaunen ging bald in Wuth über, zuerst gegen den Friedensfürsten