1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
preisgeben zu dürfen, ohne vorher zu ihrer Rettung das Aeußerste ver-
sucht zu haben. Er nahm daher eine Stellung bei Borodino, ohnge-
fähr sieben und zwanzig Stunden vor Moskau, und erwartete hier, hin-
ter einigen in der Eit aufgeworfenen Verschanzungen, die Franzosen.
Am 7. September 1812 wurde hier eine mörderische Schlacht geschla-
gen, in welcher die Russen mit religiöser Begeisterung und mit dem
Muth der Verzweiflung stritten, bis sie endlich den geübteren Gegnern
und dem schlachtenkundigen Kaiser die Walstatt lassen mußten. Am Abend
des blutigen Tages waren 70,000 Menschen theils getödtet, theils ver-
wundet, aber nur wenige gefangen. Napoleon konnte sich des Sieges
an der Moskwa rühmen, aber die feste Haltung des russischen Nach-
trabs hinderte ihn an rascher Verfolgung. Kutusow erreichte mehrere
Lage vor ihm die Gegend von Moskau, zog sich, ohne noch eine Schlacht
zur Vertheidigung der Hauptstadt zu liefern, südwärts nach Kaluga
und nahm eine Stellung in der Flanke der Franzosen. Zugleich verab-
redete er mit dem Grafen Rostopschin, dem Gouverneur von Mos-
kau , die Räumung dieser Stadl.
Als am 14. September der französische Vortrab unter Murat in
Moskau einrückte, war die Stadt wie ausgestorben. Von 240,000 Ein-
wohnern waren nur 12 bis 15,000 Menschen, theils Fremde, theils
Leute aus der untersten Volksklasse, zurückgeblieben. Napoleon nahm
in einem der verlassenen Häuser, am zweiten Tage in dem Kreml,
der Burg der Zaren, sein Hauptquartier. Er hatte gemessenen Befehl
gegebkn, strenge Ordnung unter den Truppen zu erhalten, aber viele
Soldaten verbreiteten sich über die Stadt, um Lebensmittel zu suchen,
und plünderten die verlassenen Häuser. Schon am ersten Abende brach
an mehreren Stellen Feuer aus, was bei der Menge von Wachfeuern
in der Nähe hölzerner Häuser nicht zu verwundern mar. Die Franzo-
sen wollten löschen; aber das Corps der Spritzenleute war mit allen
seinen Geräthschasten abgezogen. Ein heftiger Wind trieb die Gluth von
Gasse zu Gasse, und am Morgen des 16. Septembers gewährte das
Feuer das Bild eines vom Sturme bewegten Flammenmeeres. Von
einer Terrasse deß Kreml betrachtete Napoleon das Grausen erregende
Schauspiel; am Abend deß 16., als der Kreml mitten im Feuerregen
stand, verließ er den Palast der Zaren und die brennende Stadt und
nahm in dem Lustschlosse Petrowski, eine halbe Stunde vor der Stadt,
seine Wohnung. Nun waren alle Bande des Gehorsams gelöst; beute-
gierig stürmte der Soldat in die brennenden Paläste und suchte durch
den Rausch jeglicher Lust sich für die erduldeten Mühseligkeiten zu ent-
schädigen. Als am sechsten Tage durch starke Regengüsse >r Brand
nach und nach erlosch, waren neun Zehntheile der Häuser zerstört, und
der Boden mit Schutt und halb verbrannten Leichen von Menschen und
Thieren bedeckt.
Napoleon erwartete russische Friedensboten und sandte, als diese
nicht erschienen, den General La uriston mit Friedensanträgen an den
Kaiser, in Kutusows Hauptquartier. Kutusow wußte Napoleon hinzuhal-
ten, während das russische Heer sich täglich durch neue Streitkräfte ver-
stärkte, der Zustand des französischen aber sich verschlimmerte. Endlich
erkannte Napoleon seine Täuschung und verließ am 17. October Mos-
kau, um über Kaluga nach Smolensk zurückzukehren. Der Marschall