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1. Geschichte der neueren und neuesten Zeit - S. 809

1858 - Weimar : Böhlau
809 für die Poesie daß Recht in Anspruch zu nehmen, nur von der Natur und dem Genius Gesetze zu empfangen. Der Angriff richtete sich gleich, zeitig gegen die Formen und den Geist des Klassicismus. Man tadelte die Kälte und Eintönigkeit der klassischen Dichtersprache; man wie- derholte die Einwände der deutschen Kritik gegen die Einheit des Orts und der Zeit. Durch das Studium Shakspeare's, Schiller's und Goethe's angeregt, begannen die jungen Dichter zu fühlen, daß die christliche Bildung, wie sie in den germanischen Völkern sich entwickelt, eine ganze Welt von poetischen Motiven in ihrem Schooße berge, von denen die Herrschaft deß Klassicismus die französische Poesie bis dahin ausgeschlossen hatte. Sie verwarfen, wie die deutschen Romantiker, die strenge Sonderung der Gattungen und die Einfachheit der.antiken Dich, tung; sie verlangten, daß in der Poesie das ganze geistige Leben der Völ. ker sich abspiegele. Es erhob sich ein heftiger Kampf zwischen den An- Hängern des Klassicismus und den Romantikern. Aber die gei- stige Verwandtschaft der Romantiker mit Chateaubriand und Lamartine, das begeisterte Lob, welches der Erstere ihrem Führer Victor Hugo spendete, öffnete den Romantikern die Salons der Aristokratie. Die Priesterpartei wünschte sich Glück zu dem Wiederaufleben religiöser Be- geisterung in den ausgezeichnetsten Talenten der französischen Jugend, und der Romantismus begann in der guten Gesellschaft Mode zu wer- den. Als die unwiderstehliche Kraft deß geistigen Fortschritts die Ro- mantiker zur Opposition hinüber trieb, gewannen sie in der öffentlichen Meinung zehnfach wieder, was sie in den höheren Kreisen verloren. Der Romantismus hatte vollständig gesiegt, als die Juli-Revolution ausbrach und dem Ehrgeiz wiederum die politische Laufbahn erschloß, deren Lockungen französische Schriftsteller selten widerstehen. Der Ro- mantismus im engeren Sinne wich der politisch-socialen Litera- tur der neuesten Zeit. Die Juli-Revolution setzte das Vorrecht des Geldes an die Stelle des Vorrechts der Geburt. Der reiche Bürger- stand erntete ihre Früchte. Mit den natürlichen Vortheilen des Reich- thums nicht zufrieden, reizte er durch eine parteiische Gesetzgebung den Unwillen der Masse. Die Allgewalt deß Geldes wurde gesetzlich aner- kannt, und es konnte nicht fehlen, daß dieses Genuß- und Herrschafts, mittel in dem ganzen Volke eine leidenschaftliche Sehnsucht nach seinem Besitze erweckte. Die Leidenschaft des Gewinns, des Genusses des ma- teriellen Erfolgs beherrschte die Gesellschaft und die Literatur. Das Geld und der Luxus hatten ihre Dichter, wie einst daß Ritterthum, die Religion und die Philosophie. Die Industrie centralisirte sich wie die Verwaltung. Der Luxus wuchs mit dem Reichthum. Scribe grün- dete seine berühmte Komödienfabrik und wurde ein Millionär, Balzac, Alexander Dumas und eine Menge Schriftsteller zweiten Ranges machten sich die Ehre und den Vortheil streitig, den Launen und dem abgestumpften Geschmacke der Geldkönige zu schmeicheln. Der Ruhm wurde nur noch gesucht, weil er zum Reichthum und zum Genuß führte. Alles, was den materiellen Erfolg sicherte, war schön und poetisch. Da die große Mehrzahl sich von den Vortheilen dieser Industrie ausgeschlossen sehen mußte, so entstand unter den Proletariern aller Stände bald giftiger Neid und fanatischer Haß. Der Socialismus erhob sein Haupt in der Literatur und versuchte dann die Eroberung des
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